Warum Sie beim Autofahren meditieren sollten


Jawohl. Kein Scherz. Ich empfehle Ihnen hiermit ganz offiziell, beim Autofahren zu meditieren. Und ich bin davon überzeugt, dass Sie das nicht nur gefahrlos und unfallfrei überstehen, sondern dass Sie das sogar zu einem besseren Autofahrer machen wird – entspannt, gelassen, aufmerksam und konzentriert. 
Aber vielleicht sollte ich dazusagen, was für eine Art von Meditation ich meine, denn Meditieren ist nicht gleich meditieren.

Vielleicht haben Sie schon einmal von der Achtsamkeits-Meditation gehört, deren positive Effekte sich in therapeutischen Kreisen schon seit Jahren mehr und mehr herumspricht und schon unzähligen Patienten zu mehr Ruhe und Gelassenheit verholfen hat. Auch nach Depessionen und bei Burnout wird diese Methode als Rückfallprophylaxe gerne angewendet, und ihre positive Wirkung bei Stress ist in zahlreichen Studien gut untersucht und inzwischen so gut belegt, dass viele gesetzlichen Krankenkassen oft  sogar einen Zuschuß auf eine bestimmte Form der Achtsamkeitsmeditation, nämlich die 8-Wochen-Achtsamkeitskurse der MBSR-Methode nach Jon Kabat-Zinn, geben. MBSR steht für „mindfulness based Stress Reduktion“, und die Weiterentwicklung MBCT – mindfulness based cognitive therapy – hat sich als sehr gute Unterstützung einer Psychotherapie bei Depressionen erwiesen, die helfen kann, die Rückfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren.

Jon Kabat Zinn ist emeritierter Professor der University of Masachusetts in den USA und hat bereits Anfang der 80er Jahre mit dem Buch „Im Alltag Ruhe finden“ die positiven Einflüsse von Achtsamkeitsmeditation auf Stress, Angst und Krankheiten geschildert. Das Buch – wie generell seine Bücher – ist nach wie vor sehr zu empfehlen, wenn’s um das Thema „Runterkommen“ im immer hektischer werdenden Alltag geht. 
„Erfunden“ hat Jon Kabat-Zinn die Achtsamkeitsmeditation aber natürlich nicht, denn diese Methode, sich ganz auf den Augenblick zu konzentrieren und darauf, was man jetzt gerade tut, ist sehr, sehr alt – wie auch die folgende Zen-Geschichte beschreibt:

Ein Reisender wollte Zen-Meister Rinzai aufsuchen, und kam zu dessen Kloster. Vor dem Kloster fand er den Meister beim Holzhacken, aber da er ihn nicht kannte wußte er nicht, dass er es war, und fragte ihn, wo er den Meister Rinzai finden könne. Der Zen-Meister sah auf und deutete zum Kloster, denn er war so in das Holzhacken vertieft, dass er alles andere um sich herum vergessen hatte, selbst wer er war. 
Als er den Reisenden Richtung Kloster gehen sah, fiel es ihm wieder ein, dass er selbst ja Meister Rinzai war, und er eilte ins Kloster um seinen Gast zu erwarten. 
Als dieser eintrat und Meister Rinzai dort sitzen sah, war er völlig irritiert: „ich habe Dich doch gerade beim Holzhacken gesehen, und Du hast gesagt, Meister Rinzai sei im Kloster. Jetzt finde ich hier Dich? Ich bin völlig verwirrt. Am besten, ich werde erst mal wieder gehen und morgen wiederkommen.“
Der Meister sagte freundlich: „Das kannst Du gerne tun. Aber ich bin stets ganz eins mit dem, was ich gerade mache. Vielleicht hole ich morgen Wasser vom Brunnen. Frage mich dann bitte nicht, wo Rinzai ist. Denn dann bin ich nur der Wasserträger.“

Jetzt wird vielleicht klar, warum ich jedem nur wärmstens ans Herz legen kann, beim Autofahren zu meditieren… jedenfalls dann, wenn es sich um eine Achtsamkeitsmeditation handelt.

Wer Auto fährt, sollte eigentlich nur Auto fahren, und ganz im gegenwärtigen Moment sein. 
Aber wie sieht es tatsächlich aus? Die Gedanken sind überall, nur nicht auf der Straße. Man befindet sich gerade überall, nur nicht dort wo man gerade ist – noch nicht einmal die Zeit stimmt, noch nicht einmal in der Gegenwart hält man sich gerade auf! Während das Unbewußte als „Autopilot“ am Steuer sitzt, ist der Kopf schon beim Abendessen, oder beim wichtigen Termin am nächsten Tag, der nach Feierabend noch vorbereitet werden muß. Oder die Gedanken beschäftigen sich mit dem, was am Vormittag im Büro alles geschehen ist. Oder sie schweifen ab zum Streit mit dem Ehepartner, der am Vortag stattgefunden hat und noch immer nicht bereinigt werden konnte. 
Und wenn es nur die Gedanken wären… immer häufiger werden ja die Unfälle, die stattfinden, weil das Lesen oder sogar das Schreiben von Handynachrichten während der Fahrt (!) die Aufmerksamkeit, die sowieso schon ganz woanders war, nun endgültig blockiert und sogar noch die letzten Sinne vom Geschehen um der Straße abzieht. Wer die Augen nicht mehr auf der Straße, sondern auf dem Handy-Display hat und sogar noch mit einer Hand am Tippen ist, wie soll der noch rechtzeitig auf das reagieren, was um ihn herum stattfindet und eine Reaktion erfordern würde? 

Wie viel sicherer wäre doch der Straßenverkehr, wenn die Leute tatsächlich hinter dem Steuer regelmäßig Achtsamkeitsmeditation üben würden. Wenn sie wahrnehmen würden, was jetzt im Moment um sie herum geschieht. Wenn sie sich ganz auf das Hier und Jetzt konzentrieren, und diese Fähigkeit üben und trainieren würden.

Denn es ist wirklich alles andere als einfach. Die Gedanken neigen dazu, immer wieder abzuschweifen. Das ist so weitverbreitet, dass es uns inzwischen ganz normal vorkommt, mehr noch: dass wir es gar nicht mehr anders kennen und können und erst mühsam wieder erlernen müssen, was wir als Kinder noch konnten – nämlich in den Moment einzutauchen mit all unserer Aufmerksamkeit, all unseren Sinnen, und das Leben um uns herum wirklich wahrzunehmen. 

Das können wir aber alles wieder lernen, auch wenn es sehr, sehr viel Geduld und Übung erfordert. Die Vorteile für die seelische wie auch körperliche Gesundheit sind wie gesagt inzwischen durch zahlreiche Studien belegt. Und der Weg ist so einfach: Immer wieder, wenn man bemerkt, das man gerade in Gedanken wieder mal abdriftet, sich sanft wieder zurück in den Augenblick zu holen und mit allen Sinnen wahrnehmen, was gerade um uns herum geschieht. Das ist Achtsamkeitsmeditation.

„Ja, aber… das ist ja alles schön und gut, aber wann soll ich denn die ZEIT für so etwas finden?!“
Nun – vielleicht beim Autofahren?
Das wäre zumindest mal ein Anfang.