Könnte es wirklich Autismus sein?


Über 1000 Symptom-Beispiele zu den offiziellen Diagnosekriterien


Dr. med. Barbara Gorissen



Impressum:


Dr. med. Barbara Gorissen

Herbachstraße 12

55262 Ingelheim

www.Praxis-Dr-Gorissen.de

barbara.gorissen@proton.me


Copyright 1. Auflage: Dr. Barbara Gorissen 2025; Alle Rechte vorbehalten

Herstellung durch Amazon Distribution GmbH

Imprint: Independently published


Autorin: Gesetzliche Berufsbezeichnung Ärztin. Berufsbezeichnung verliehen in der Bundesrepublik Deutschland. Es besteht die Facharztbezeichnung Innere Medizin, nach Weiterbildung und Prüfung verliehen von der Landesärztekammer Hessen. Die Zusatzbezeichnungen Psychotherapie, Palliativmedizin und Notfallmedizin wurden ebenfalls von der Landesärztekammer Hessen verliehen. Zuständige Ärztekammer/Aufsichtsbehörde: Bezirksärztekammer Rheinhessen


Umschlaggestaltung/Bildnachweis Rückseite: Gisa Gericke, Wiesbaden

Bildnachweis/Titelfoto: Kostenko Maxim/Shutterstock.com

Die abgebildeten Personen haben in keiner Weise etwas mit dem Thema des Buches zu tun.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort oder: Was ist Autismus? Eine Einführung ins Thema

A. Was ist ein Spektrum? Die Vielfalt von Autismus

B. Diagnosekriterien vs. „lebendige“ Symptome

C. Ziel und Aufbau des Buches

Abschnitt 1: Einführung in die Diagnostik

1. Leitlinie und Klassifikationssysteme — worauf sich die Diagnostik stützt

A. S3-Leitlinien – die Königsklasse der Empfehlungen

B. Die Autismus-Leitlinie – ein Update ist überfällig

2. Autismus-Diagnostik nach ICD-11 und DSM 5

A. Was ist ICD-11 uns DSM 5?

B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Abschnitt 2: Über 1000 Symptombeispiele für die Diagnosekriterien

1. Schwierigkeiten bei sozialer Gegenseitigkeit

A. Probleme im Kontext von Gesprächen

Probleme, Gespräche am Laufen zu halten

Mangelndes Interesse und Schwierigkeiten mit Smalltalk

Oversharing

Infodumping

Gespräche dominieren, ohne es zu merken

Überforderung durch Gruppengespräche

Besonderheiten bei Mädchen und Frauen

B. Sprache und Verständnis

Wörtliches Verständnis von Sprache

Schwierigkeiten, indirekte Aussagen zu verstehen

Missverstehen von Scherzen oder Neckereien

Selbst kaum Witze oder Scherze machen

Überwältigung durch zu viele Informationen

Probleme mit abstrakten Konzepten

Fokus auf Fakten statt Emotionen

Besonderheiten bei Mädchen und Frauen

C. Schwierigkeiten mit der Theorie of Mind

Kurze Einführung in die Theory of Mind (ToM)

Schwierigkeiten, die Gefühle anderer zu erkennen

Probleme mit Perspektivwechsel

Missverständnisse bei emotionalen Kontexten

Unfähigkeit, Absichten anderer zu antizipieren

Schwierigkeiten, unausgesprochene Regeln zu erkennen

Besonderheiten bei Mädchen und Frauen

2. Schwierigkeiten mit nonverbaler Kommunikation

A. Schwierigkeit, nonverbale Signale zu deuten

Probleme mit Mimik

Probleme mit Gestik



Vorwort oder: Was ist Autismus? Eine Einführung ins Thema


Autismus ist eine neurodivergente Entwicklungsbesonderheit, die sich auf die Wahrnehmung, das Denken und das Verhalten von Menschen auswirkt. Oft wird Autismus als eine „andere Art, die Welt zu erleben“ beschrieben. Menschen im Autismus-Spektrum nehmen Reize intensiver oder anders wahr, denken oft analytischer und haben häufig Schwierigkeiten, sich an die sozialen Erwartungen ihrer Umgebung anzupassen.

Trotz seiner Herausforderungen bringt Autismus auch viele Stärken mit sich: die Fähigkeit, sich tief in Spezialinteressen zu vertiefen, analytische Probleme zu lösen oder Details wahrzunehmen, die anderen entgehen. Doch was Autismus genau bedeutet, lässt sich nicht pauschal beantworten, denn: Autismus ist ein Spektrum.


A. Was ist ein Spektrum? Die Vielfalt von Autismus

Der Begriff „Spektrum“ zeigt, dass Autismus sich in einer enormen Vielfalt äußert. Jeder Autist ist anders. Manche Menschen im Spektrum sind nonverbal, andere sind wortgewandt. Einige haben eine überdurchschnittliche Intelligenz, während andere Unterstützung im Alltag benötigen. Es gibt Menschen, die stark von sensorischen Reizen überfordert sind, und andere, die scheinbar unerschütterlich wirken.

Diese Vielfalt sorgt nicht nur für Missverständnisse in der Gesellschaft, sondern auch dafür, dass Autismus in der Diagnostik oft übersehen wird – insbesondere bei Frauen und Mädchen. Viele Symptome sind subtil oder werden durch Anpassung (Masking) verborgen, wodurch sie selbst Fachleuten entgehen können.

Dieses Buch möchte dazu beitragen, die Vielfalt von Autismus besser zu verstehen und sich von starren Vorstellungen zu lösen.

B. Diagnosekriterien vs. „lebendige“ Symptome

Die offiziellen Diagnosekriterien, wie sie in den großen Klassifikationssystemen beschrieben werden, sind wichtige Werkzeuge, um Autismus zu erkennen. Sie bieten eine wissenschaftliche Grundlage und strukturierte Orientierung. Doch sie bleiben oft vage und allgemein.

In der Praxis begegnet man jedoch unzähligen „lebendigen“ Symptomen, die im Alltag autistischer Menschen eine zentrale Rolle spielen. Diese Symptome reichen von typischen Verhaltensweisen, wie dem Vermeiden von Augenkontakt, bis hin zu unscheinbaren Details, wie einem starken Bedürfnis nach Routinen. Diese lebendigen Symptome sind oft nur indirekt in den Diagnosekriterien erwähnt, spiegeln jedoch die Realität autistischer Menschen wider.

Dieses Buch hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Kluft zu schließen. Es verbindet die wissenschaftliche Grundlage der Diagnosekriterien mit der Lebensrealität der autistischen Community. Die Symptome werden durch anschauliche Beispiele erläutert, die Betroffenen und Fachleuten helfen, Autismus besser zu verstehen.


C. Ziel und Aufbau des Buches

Dieses Buch richtet sich an alle, die Autismus besser verstehen möchten – sei es, weil sie selbst im Spektrum sind, weil sie einen Angehörigen unterstützen oder weil sie in einem helfenden Beruf arbeiten.

Nach einer kurzen Vorstellung der beiden großen Klassifikationssysteme widmet sich das Buch ausschließlich den Symptomen. Diese sind thematisch gruppiert, praxisnah beschrieben und mit Beispielen aus dem Alltag ergänzt. Die Vielfalt der Symptome spiegelt die Vielfalt von Autismus wider.

Die Idee dahinter ist, dass sich Betroffene in den Beispielen wiedererkennen können und Fachleute Anregungen für ihre Diagnostik und Therapie erhalten. Gleichzeitig soll das Buch mit den Beispielen auch das Verständnis für Autismus in der Gesellschaft stärken.

Ich habe bei den Beispielen in Buch in jedes Unterkapitel einen eigenen Unterpunkt „Besonderheiten bei Mädchen und Frauen“ hinzugefügt, da bei diesen die Diagnostik oft besonders schwierig ist, denn sie versuchen sich meist schon seit frühester Kindheit an die Erwartungen, die von neurotypischen Menschen an sie stellt, anzupassen und ihr Anderssein zu verstecken. Dies funktioniert meist recht gut — zu dem Preis großer Erschöpfung, dem Gefühl „nicht richtig“ zu sein und einem reduzierten Selbstwertgefühl. 

Bei den Beispielen außerhalb der Unterpunkte „Besonderheiten bei Mädchen und Frauen“ verwende ich außen Gründen der Lesbarkeit meist die männliche Form „Autist“. In den beschrieben Beispielen werden sich aber sicher auch viele Autistinnen wiedererkennen und sind natürlich auch mit angesprochen.

Die meisten Betroffenen ziehen es im übrigen vor, als Autistin oder Autist bezeichnet zu werden, da sie es als Teil ihrer Identität sehen, und nicht als „Person mit Autismus“, als ob es eine Krankheit oder Störung wäre, wie es in der offiziellen Diagnose „Autismusspektrum-Störung“ ja leider pathologisiert wird. Die Idee der Neurodivergenz — also einfach abweichend „verkabelter“ Neuronen als Normvariante — wird daher in der wachsenden und erfreulicherweise zunehmend selbstbewußten Autismus-Community bevorzugt verwendet.

Ich lade Sie in diesem Buch ein, Autismus auf eine neue Weise zu entdecken – durch eine Kombination aus Wissenschaft und Leben, Theorie und Praxis, Regeln und Ausnahmen.

Ich hoffe, dieses Buch hilft Ihnen, die Welt aus einer neuen Perspektive zu sehen und die Vielfalt autistischer Menschen besser zu verstehen.

Viel Freude beim Lesen!


Ingelheim, im März 2025

Dr. med. Barbara Gorissen




Abschnitt 1: Einführung in die Diagnostik 


1. Leitlinie und Klassifikationssysteme — worauf sich die Diagnostik stützt


Wenn man über medizinische Diagnosen und Behandlungen spricht, fällt schnell der Begriff „Leitlinie“. Doch was genau ist das eigentlich?

Leitlinien sind Empfehlungen, die Ärztinnen und Ärzte sowie andere Fachpersonen dabei unterstützen sollen, Diagnosen und Behandlungen auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft durchzuführen. Sie basieren auf systematisch ausgewerteten Forschungsergebnissen, klinischer Erfahrung und Expertenkonsens. Kurz gesagt: Leitlinien sind der Kompass im oft ganz schön unübersichtlichen Dschungel medizinischer Möglichkeiten.



A. S3-Leitlinien – die Königsklasse der Empfehlungen

Nicht alle Leitlinien sind gleich. Es gibt unterschiedliche Stufen, die sich danach richten, wie umfassend sie entwickelt wurden. Eine S3-Leitlinie, wie die für Autismus-Spektrum-Störungen (ASS), gehört zur höchsten Stufe. Sie wird nicht von einzelnen Personen oder Organisationen erstellt, sondern interdisziplinär von Expertengruppen, die sich intensiv mit der jeweiligen Thematik auseinandersetzen.

Die Entwicklung einer S3-Leitlinie folgt strengen methodischen Vorgaben, darunter:

  • Die systematische Sichtung und Bewertung von Studien.
  • Die Einbeziehung von Fachgesellschaften und Vertretern verschiedener Berufsgruppen.
  • Die Konsensfindung in großen, teils kontroversen Diskussionen.


S3-Leitlinien sind damit wissenschaftlich fundiert und praxisnah zugleich. Sie dienen nicht nur als Orientierung für Fachleute, sondern bieten auch Patientinnen und Patienten eine verlässliche Grundlage, auf der sie Entscheidungen über Diagnostik und Therapie treffen können.


B. Die Autismus-Leitlinie – ein Update ist überfällig 

Die S3-Leitlinie zur Diagnostik von Autismusspektrum-Störungen (ASS) wurde zuletzt 2016 veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war sie ein Meilenstein, der erstmals klare Kriterien und Empfehlungen zusammenfasste. Doch Leitlinien sind keine in Stein gemeißelten Dokumente. Sie müssen regelmäßig überarbeitet werden, um mit dem Fortschritt in Forschung und Praxis Schritt zu halten. Leider ist die Diagnostik-Leitlinie für ASS seit 2021 offiziell abgelaufen und wird derzeit überarbeitet.

Das bedeutet natürlich nicht, dass Diagnosen von Autismus-Spektrum-Störungen ins Leere laufen. Die internationale Fachwelt stützt sich weiterhin auf die aktuell gültigen Kriterien der beiden üblichen Klassifikationssysteme. Diese beiden Systeme bilden die Grundlage für die Diagnostik und sind auch der Standard, den ich in diesem Buch verwende.

Die deutsche S3-Leitlinie zur Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) orientiert sich an den internationalen Klassifikationssystemen ICD-11 und DSM-5. Sie betont die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnose, idealerweise im Vorschulalter, um frühzeitige Fördermaßnahmen und die Planung des Schulbesuchs zu ermöglichen. 

Die Leitlinie hebt hervor, dass die Diagnosestellung auf einer umfassenden klinischen Beurteilung basieren sollte, die Informationen aus verschiedenen Quellen einbezieht, darunter:

  • Anamnese: Detaillierte Erfassung der Entwicklungs- und Verhaltensgeschichte des Kindes.
  • Verhaltensbeobachtung: Systematische Beobachtung des Kindes in unterschiedlichen Kontexten.
  • Standardisierte diagnostische Instrumente: Einsatz von validierten Screening- und Diagnosetools, um die diagnostische Genauigkeit zu erhöhen.

Zudem wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, komorbide Störungen zu identifizieren und in die Diagnostik einzubeziehen, da diese den Verlauf und die Therapie der ASS beeinflussen können.

Es wird empfohlen, die Diagnostik interdisziplinär durchzuführen, wobei Fachkräfte aus Medizin, Psychologie, Pädagogik und weiteren relevanten Bereichen zusammenarbeiten sollten, um eine ganzheitliche Beurteilung zu gewährleisten.

Die Leitlinie betont auch die Bedeutung der Aufklärung und Beratung von Eltern und Bezugspersonen während des diagnostischen Prozesses, um ein besseres Verständnis und einen angemessenen Umgang mit der Störung zu fördern.

Für detaillierte Informationen und spezifische diagnostische Kriterien wird auf die vollständige Leitlinie verwiesen. 


2. Autismus-Diagnostik nach ICD-11 und DSM 5


A. Was ist ICD-11 uns DSM 5?

Die Diagnosekriterien für Autismusspektrumstörungen orientieren sich — wie erläutert auch in der Leitlinie — an den Definitionen der International Classification of Diseases (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2019) und dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) der American Psychiatric Association (APA, 2013). Beide Klassifikationssysteme beschreiben wesentliche Kernbereiche der Störung, die in sozialen, kommunikativen und verhaltensbezogenen Bereichen zu spezifischen Beeinträchtigungen führen.

In der ICD-11 wird die Autismusspektrumstörung als eine einzelne Diagnose aufgeführt. 

Die wesentlichen Kriterien umfassen:

1. Beeinträchtigung in sozialen Interaktionen und Kommunikation:

• Schwierigkeiten in der sozialen Gegenseitigkeit (z. B. Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen oder zu verstehen).

• Probleme bei der verbalen und nonverbalen Kommunikation (z. B. abweichender Blickkontakt, Probleme mit Gestik oder Intonation).

2. Eingeschränkte, repetitive Verhaltensweisen, Interessen oder Aktivitäten:

• Stereotype oder repetitive Bewegungen, Sprache oder Nutzung von Objekten.

• Rigides Festhalten an Routinen oder ritualisiertes Verhalten.

• Intensive, eingeschränkte Interessen.

• Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen (z.B. Licht, Geräusche, Texturen).

3. Frühes Auftreten:

• Die Symptome müssen sich bereits in der frühen Kindheit zeigen, auch wenn sie später erst deutlich erkennbar werden können (z. B. im Schulalter).

4. Beeinträchtigung „zu funktionieren“:

• Die Symptome führen zu bedeutsamen Einschränkungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen.

Das DSM-5 betrachtet ASS als ein Spektrum mit unterschiedlichen Schweregraden und fasst die früher getrennten Diagnosen (z.B. Asperger-Syndrom) zusammen. Die Kriterien umfassen:

1. Dauerhafte Defizite in sozialer Kommunikation und sozialen Interaktionen (alle drei Punkte müssen erfüllt sein):

• Probleme mit der sozialen Gegenseitigkeit (z. B. abweichende soziale Annäherung, mangelndes Interesse an sozialen Interaktionen).

• Defizite in der nonverbalen Kommunikation (z. B. eingeschränkte Gestik, Mimik oder Körpersprache).

• Schwierigkeiten beim Aufbau, Aufrechterhalten und Verstehen von Beziehungen.

2. Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten (mindestens zwei der folgenden müssen erfüllt sein):

• Stereotype oder repetitive Bewegungen, Sprache oder Nutzung von Objekten.

• Starke Bindung an Routinen, ritualisiertes Verhalten oder Widerstand gegen Veränderungen.

• Intensive und stark eingegrenzte Interessen, die ungewöhnlich in ihrer Intensität oder ihrem Fokus sind.

• Hyper- oder Hyposensitivität gegenüber sensorischen Reizen oder ungewöhnliches Interesse an sensorischen Aspekten der Umgebung (z. B. Gerüche, Geräusche, Texturen).

3. Frühkindlicher Beginn:

• Symptome müssen in der frühen Entwicklungsphase vorhanden sein (können jedoch durch kompensatorische Strategien erst später offensichtlich werden).

4. Klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen:

• Die Symptome führen zu erheblichen Beeinträchtigungen im sozialen, schulischen oder beruflichen Bereich.

5. Differentialdiagnose:

• Die Symptome können nicht besser durch eine intellektuelle Entwicklungsstörung oder globale Entwicklungsverzögerung erklärt werden.


B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Beide Systeme fokussieren auf soziale und kommunikative Beeinträchtigungen sowie auf repetitive Verhaltensmuster und sensorische Besonderheiten.:

Das DSM-5 hat eine genauere Auflistung der Schweregrade und fokussiert stärker auf die klinische Beurteilung der Symptome.

Die ICD-11 ist oft allgemeiner formuliert und eher für die Anwendung im internationalen Kontext gedacht.

Dieses Buch wird in den folgenden Abschnitten die Diagnosekriterien nun Symptom für Symptom mit Leben füllen — durch über 1000 Symptombeisspiele, die sehr anschaulich zeigen, wie Autisten denken und fühlen. Insbesondere soll auch beleuchtet werden, wie sich die Diagnosekriterien von ICD-11 und DSM5 bei Mädchen und Frauen darstellen, bei denen Autismus aufgrund ihres besseren „Maskings“ leider immer noch oft übersehen wird.

Ich bitte dabei auch immer den Spruch zu berücksichtigen, den man oft in der Autismus-Community in den Sozialen Medien hört: „Kennst Du einen Autisten, kennst Du EINEN Autisten.“ Autismus ist ein sehr breites Spektrum, wie bei der Lektüre dieses Buches klar werden wird. Es müssen bei weitem nicht alle nachfolgend vorgestellten Symptombeispiele zutreffen, damit eine Autismus-Diagnose gestellt werden kann. Und viele der vorgestellten Symptombeispiele können auch bei Nicht-Autisten auftreten. Das macht die Diagnostik auch so komplex und zeitaufwändig.



Abschnitt 2: Über 1000 Symptombeispiele für die Diagnosekriterien


1. Schwierigkeiten bei sozialer Gegenseitigkeit


Kommen wir also zum ersten Punkt, der in beiden Kriterienkatalogen als Diagnosekriterium verlangt wird: „Schwierigkeiten bei sozialer Gegenseitigkeit“. 

Was ist damit gemeint? 

Im folgenden habe ich einmal in verschiedenen thematischen Bereichen typische Symptome und Symptom-Beispiele für diese Kategorie zusammengetragen, die ich jeweils näher erläutere.


A. Probleme im Kontext von Gesprächen


Probleme, Gespräche am Laufen zu halten

Autisten fühlen sich besonders in Gesprächen mit Menschen, die sie nicht gut kennen, oft unsicher. Dies liegt daran, dass sie Gesprächsregeln und -dynamiken nicht intuitiv erfassen können. Was für neurotypische Menschen selbstverständlich ist – etwa eine Begrüßung mit einer kleinen Floskel oder das Stellen einer Gegenfrage – muss von Autisten mühsam erlernt und bewusst angewendet werden. Gespräche wirken dadurch oft steif oder verkrampft, was beide Seiten verunsichern kann.

Beispiele:

  • Probleme, ein Gespräch zu beginnen. Beispiel: Ein Autist möchte sich mit einem Kollegen unterhalten, weiß aber nicht, wie er das Gespräch starten soll, da ihm scheinbar „passende“ Themen fehlen. Stattdessen bleibt er still und hofft, angesprochen zu werden.
  • Schwierigkeit mit Floskeln. Beispiel: Auf die Frage „Wie geht’s?“ antwortet der Autist korrekt, etwa mit „Gut“, stellt aber keine Gegenfrage wie „Und dir?“, weil er nicht weiß, dass dies erwartet wird. Das Gespräch stockt daraufhin.
  • Unbeholfenheit beim Übergang zu neuen Themen. Beispiel: Ein Autist führt ein Gespräch über das Wetter, möchte aber über ein anderes Thema sprechen, schafft es jedoch nicht, einen fließenden Übergang zu finden, und beendet das Gespräch stattdessen abrupt.
  • Angst vor Ablehnung. Beispiel: Ein Autist möchte sich bei einem Gruppenessen in die Unterhaltung einbringen, fürchtet aber, dass sein Beitrag nicht passend oder erwünscht ist, und bleibt daher stumm.
  • Schwierigkeiten, das Gespräch lebendig zu halten. Beispiel: Nachdem ein Thema erschöpft ist, weiß der Autist nicht, wie er das Gespräch weiterführen kann, und es entsteht eine unangenehme Pause.
  • Mangelndes Gespür für Gesprächsfluss. Beispiel: Ein Autist spricht über ein Thema, ohne zu merken, dass es den anderen nicht interessiert, und wartet nicht auf Reaktionen oder Einwürfe, die das Gespräch lebendiger machen könnten.
  • Probleme, die richtige Begrüßung zu finden. Beispiel: Ein Autist betritt einen Raum voller Kollegen, weiß nicht, ob er „Hallo“ sagen, jedem die Hand geben oder direkt zum Thema übergehen soll, und wirkt dadurch distanziert oder unhöflich.
  • Unklarheit über geeignete Themen. Beispiel: Ein Autist möchte mit einem Nachbarn ins Gespräch kommen, kann aber nicht einschätzen, ob das Wetter, ein gemeinsames Hobby oder etwas Persönliches als Einstieg geeignet wäre.
  • Schwierigkeiten mit Gesprächspausen. Beispiel: Nach einer Pause im Gespräch wartet der Autist darauf, dass der andere ein neues Thema aufbringt, statt selbst die Initiative zu ergreifen.
  • Übermäßiges Nachdenken über Formulierungen. Beispiel: Der Autist überlegt lange, wie er eine Frage richtig stellen kann, bis der passende Moment im Gespräch bereits vorbei ist.
  • Schwierigkeit, Interesse zu signalisieren. Beispiel: Während der Gesprächspartner von seinem Urlaub erzählt, gibt der Autist nur kurze Antworten wie „Oh“ oder „Interessant“, ohne weiter nachzufragen, was das Gespräch ins Stocken bringt.
  • Unbeabsichtigtes Ende eines Gesprächs. Beispiel: Ein Autist beantwortet eine Frage mit „Ja“ oder „Nein“ und erkennt nicht, dass der andere auf eine längere Antwort oder einen Anschluss wartet, sodass das Gespräch abrupt endet.

Die Schwierigkeiten, ein Gespräch zu beginnen oder am Laufen zu halten, sind für viele Autisten eine der größten Herausforderungen im sozialen Miteinander. Sie resultieren oft aus dem fehlenden Gespür für soziale Dynamiken, das durch bewusste Anstrengung kompensiert werden muss. Das führt jedoch zu einem hohen Energieaufwand, der Gespräche anstrengend und belastend macht.


Mangelndes Interesse und Schwierigkeiten mit Smalltalk

Autisten tun sich oft schwer mit Smalltalk, da sie diesen nicht als sinnvolle Kommunikationsform betrachten. Während Smalltalk für viele neurotypische Menschen eine Möglichkeit ist, eine Verbindung herzustellen und soziale Nähe aufzubauen, wird er von Autisten häufig als inhaltsleer und anstrengend empfunden. Da Smalltalk wenig mit konkretem Informationsaustausch zu tun hat, fehlt ihnen häufig der Zugang dazu – sowohl inhaltlich als auch emotional.

Beispiele:

  • Unverständnis für den Zweck von Smalltalk. Beispiel: Ein Autist versteht nicht, warum jemand in einem Gespräch über das Wetter redet, anstatt direkt über ein wichtiges Thema zu sprechen, und antwortet nur knapp oder gar nicht.
  • Probleme, passende Antworten zu finden. Beispiel: Auf die Bemerkung „Schöner Tag heute, oder?“ reagiert der Autist mit einem langen, analytischen Kommentar über die Wetterbedingungen, anstatt die Floskel mit einer kurzen Zustimmung zu erwidern.
  • Smalltalk als anstrengend empfinden. Beispiel: Ein Autist fühlt sich nach einem kurzen Austausch im Büro über das Wochenende so erschöpft, als hätte er eine lange Diskussion geführt, weil er bewusst auf jede Reaktion achten musste.
  • Unfähigkeit, Smalltalk in Gang zu bringen. Beispiel: Der Autist möchte höflich wirken, weiß aber nicht, welche Themen „leicht“ genug sind, um ein kurzes Gespräch zu beginnen, und sagt daher lieber gar nichts.
  • Versuch, Smalltalk zu vermeiden. Beispiel: Ein Autist meidet den Pausenraum im Büro, weil er Angst hat, in belanglose Gespräche verwickelt zu werden, bei denen er nicht weiß, wie er sich verhalten soll.
  • Überforderung durch die Belanglosigkeit. Beispiel: Ein Autist hört im Smalltalk aufmerksam zu, versteht aber nicht, warum der Gesprächspartner begeistert von einer trivialen Situation erzählt, und empfindet den Austausch als frustrierend.
  • Smalltalk als Fremdsprache erlernen. Beispiel: Insbesondere autistische Frauen beobachten und imitieren Smalltalk, um sich anzupassen. Dennoch empfinden sie ihn oft als künstlich und unauthentisch, was auf Dauer sehr belastend sein kann.
  • Missverständnisse bei Floskeln. Beispiel: Auf die Frage „Na, alles gut?“ beginnt der Autist, ehrlich über aktuelle Probleme zu sprechen, weil er nicht versteht, dass dies lediglich eine höfliche Begrüßung ist.
  • Fokus auf tiefgründige Gespräche. Beispiel: Statt Smalltalk zu führen, versucht ein Autist, sofort auf ein ernstes oder detailliertes Thema einzugehen, was andere als unangemessen oder zu fordernd empfinden.
  • Unangemessene Tiefe in Smalltalk-Situationen. Beispiel: In einer lockeren Unterhaltung bei einer Party erzählt der Autist plötzlich detailliert über ein privates Problem, da er den oberflächlichen Charakter der Situation nicht erkennt.

Smalltalk ist für viele Autisten eine große Herausforderung, da er auf sozialen Regeln basiert, die nicht intuitiv verstanden werden. Für Autisten, die sich durch Smalltalk dennoch anzupassen versuchen, ist dies oft sehr anstrengend und führt nicht selten dazu, dass sie solche Situationen lieber meiden. Dabei empfinden sie den Verzicht auf Smalltalk nicht als Verlust, sondern eher als Erleichterung, da sie Gespräche bevorzugen, die ihnen inhaltlich oder emotional etwas bedeuten.



Oversharing

Oversharing beschreibt die Tendenz, mehr persönliche Informationen oder Details preiszugeben, als in der sozialen Situation angemessen ist. Für Autisten ergibt sich dieses Verhalten oft aus ihrem Bedürfnis nach Ehrlichkeit, ihrem mangelnden Gespür für soziale Konventionen und besonders aus dem Wunsch, sich zu erklären und verstanden zu werden. Sie möchten Missverständnisse ausräumen oder den eigenen Standpunkt so detailliert darlegen, dass keine Unklarheiten mehr bleiben – was allerdings oft das Gegenteil bewirkt.

Beispiele:

  • Zu viele persönliche Details in einer formellen Situation. Beispiel: Auf die Frage des Chefs, wie es einem geht, erzählt ein Autist ausführlich von privaten Problemen, etwa Streitigkeiten in der Familie oder gesundheitlichen Beschwerden. Der Chef hatte jedoch lediglich eine höfliche Floskel erwartet und ist völlig irritiert.
  • Detaillierte Offenheit gegenüber Fremden. Beispiel: Ein Autist lernt in der Bahn jemanden kennen und erzählt dieser Person innerhalb von Minuten von vergangenen Traumata oder persönlichen Schwächen, ohne zu merken, dass dies den anderen überfordert.
  • Antworten, die weit über die Frage hinausgehen. Beispiel: Auf die Frage „Wie war dein Wochenende?“ folgt keine kurze Antwort, sondern eine detaillierte Erzählung aller Aktivitäten, emotionalen Höhen und Tiefen sowie der genauen Abläufe.
  • Teilen von sensiblen Themen ohne Kontext. Beispiel: In einem Gespräch über Hobbys erwähnt der Autist plötzlich sehr persönliche Details, wie finanzielle Probleme oder medizinische Diagnosen, die für den Gesprächspartner unvorbereitet kommen.
  • Unpassender Zeitpunkt für Offenheit. Beispiel: Während eines Gesprächs auf einer Party, bei dem es um allgemeine Themen geht, erzählt der Autist plötzlich von einer belastenden Kindheitserinnerung, ohne zu merken, dass dies die Stimmung stark beeinflusst.
  • Erklärung des eigenen Verhaltens in einer unangenehmen Situation. Beispiel: Ein Autist, der bei einem Meeting nicht gegrüßt hat, erklärt nachträglich ausführlich, dass er zu nervös war und sich überfordert gefühlt hat, und schildert dabei weitere persönliche Ängste oder Unsicherheiten. Diese zusätzliche Offenheit wird vom Umfeld nicht immer als notwendig oder hilfreich wahrgenommen.
  • Reaktion auf Kritik. Beispiel: Nach einer Rückmeldung wie „Du wirkst manchmal unhöflich“ erklärt der Autist in aller Ausführlichkeit, dass er Probleme mit Blickkontakt, sozialer Unsicherheit und Stress hat, und teilt dabei intime Details, die das Gegenüber nicht erwartet hat und schwer einordnen kann.
  • Erklärung eines besonderen Interesses oder Verhaltens. Beispiel: Ein Autist, der einen ungewöhnlichen Gegenstand bei sich trägt (z.B. einen Fidget-Toy), erklärt in einem einfachen Gespräch, dass er diesen zur Beruhigung benötigt, weil er unter sensorischen Überlastungen leidet, und erzählt dabei auch von anderen sensorischen Schwierigkeiten oder Diagnosen.
  • Versuch, soziale Missverständnisse aufzuklären. Beispiel: Nach einem Streit erklärt der Autist ausführlich, warum er so reagiert hat, und beschreibt seine Gedanken, Gefühle und Erfahrungen in einer Weise, die für den anderen überwältigend oder überfordernd wirken kann.
  • Erklärungen in beruflichen Kontexten. Beispiel: Ein Autist erklärt in einem Bewerbungsgespräch, dass er sich besonders gut auf strukturierte Aufgaben konzentrieren kann, und fügt hinzu, dass dies auf seine autistische Wahrnehmung zurückzuführen ist, was er durch weitere persönliche Details belegt. Dies könnte für den Gesprächspartner als unangemessen empfunden werden.


Oversharing entsteht also nicht aus böser Absicht. Vielmehr kommt es aus der direkten und ehrlichen Art von Autisten sowie aus ihrer Schwierigkeit, soziale Grenzen intuitiv zu erkennen. Für das Gegenüber kann diese Offenheit jedoch überfordernd wirken, was zu Unverständnis oder Abwehr führt. Autisten, die negative Reaktionen auf Oversharing erleben, ziehen sich oft zurück oder fühlen sich in sozialen Situationen noch unsicherer.

Und Oversharing, das aus dem Bedürfnis nach Erklärung und Verständnis entsteht, zeigt somit die Bemühungen vieler Autisten, sich in sozialen Situationen zurechtzufinden und Missverständnisse zu vermeiden. Jedoch wird diese Offenheit nicht immer als positiv wahrgenommen, was bei Autisten wiederum Unsicherheiten und Rückzugstendenzen verstärken kann.



Infodumping

Infodumping bezeichnet die Angewohnheit, ausführlich und detailreich über ein Spezialinteresse zu sprechen – oft unabhängig davon, ob der Gesprächspartner daran interessiert ist oder nicht. Für Autisten ist das Teilen ihres Wissens eine Form, Begeisterung auszudrücken und sich zu verbinden. Doch da sie die Reaktionen ihres Gegenübers oft nicht richtig deuten können, kann dieses Verhalten als unangemessen oder dominierend wahrgenommen werden.

Beispiele:

  • Monolog über ein Spezialinteresse. Beispiel: Ein Autist mit einer Leidenschaft für Zugmodelle erklärt in einem Gespräch ausführlich die Baujahre, Hersteller und technischen Spezifikationen verschiedener Modelle, ohne zu merken, dass der Gesprächspartner nach kurzer Zeit das Interesse verliert.
  • Missverstehen von Höflichkeit als Interesse. Beispiel: Der Gesprächspartner nickt höflich und sagt gelegentlich „Ah ja, interessant!“. Der Autist interpretiert dies als Begeisterung und fährt fort, immer detaillierter über das Thema zu sprechen.
  • Überfordern durch zu viele Details. Beispiel: In einer Diskussion über Umweltfragen erzählt ein Autist nicht nur die Grundzüge, sondern listet alle chemischen Prozesse und deren physikalische Auswirkungen im Detail auf, bis der Gesprächspartner verwirrt oder überfordert wirkt.
  • Schwierigkeit, das Thema zu wechseln. Beispiel: Ein Gesprächspartner versucht, das Thema von einem Vortrag über Dinosaurier auf ein gemeinsames Hobby zu lenken, doch der Autist kehrt immer wieder zu den Dinosauriern zurück.
  • Ignorieren von nonverbalen Signalen. Beispiel: Der Gesprächspartner schaut auf die Uhr, gähnt oder sieht sich um, doch der Autist interpretiert diese Hinweise nicht als Desinteresse und redet weiter.
  • Überschätzung der Faszination anderer. Beispiel: Ein Autist spricht leidenschaftlich über ein mathematisches Problem, weil er es für faszinierend hält, und erwartet, dass sein Gegenüber diese Begeisterung teilt.

Infodumping ist also überhaupt keine absichtliche Unhöflichkeit, sondern Ausdruck von Leidenschaft. Doch da Autisten die Reaktionen ihres Gegenübers oft nicht erkennen, kann es zu Missverständnissen und sozialer Distanz führen. Gleichzeitig erleben Autisten Frustration, wenn ihre Begeisterung nicht geteilt wird, was wiederum das Gefühl von Isolation verstärken kann.



Gespräche dominieren, ohne es zu merken

Autisten können oft unabsichtlich Gespräche dominieren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dies geschieht vor allem in Situationen, in denen sie über ein Thema sprechen, das sie besonders interessiert. Sie sind so in ihrem Gedankenfluss und ihrer Begeisterung gefangen, dass sie die Reaktionen oder das Desinteresse ihres Gegenübers nicht bemerken. Ein häufiger Grund für dieses Verhalten ist die Schwierigkeit, subtile nonverbale Signale zu erkennen, die normalerweise darauf hinweisen würden, dass das Gegenüber das Thema wechseln möchte oder sich zurückzieht.

Beispiele:

  • Unbeabsichtigter Monolog über ein Spezialinteresse. Beispiel: Ein Autist mit einer Leidenschaft für Astronomie erklärt minutenlang Details über schwarze Löcher, ohne wahrzunehmen, dass sein Gesprächspartner nur gelegentlich nickt oder auf die Uhr schaut.
  • Ignorieren von Versuchen, das Thema zu wechseln. Beispiel: Der Gesprächspartner versucht, das Thema zu wechseln, indem er eine Frage zu einem anderen Bereich stellt. Der Autist bleibt jedoch beim ursprünglichen Thema und beantwortet die Frage nur kurz, bevor er in seinen Monolog zurückkehrt.
  • Übernehmen der Gesprächsführung. Beispiel: Während einer Gruppenunterhaltung beginnt der Autist, seine Gedanken auszuführen, und merkt nicht, dass andere nicht mehr zu Wort kommen oder sich aus der Diskussion zurückziehen.
  • Einschätzung, dass das Thema interessant sein müsste. Beispiel: Der Autist spricht ausführlich über eine kürzlich entdeckte mathematische Theorie, weil er überzeugt ist, dass dieses Thema für jeden faszinierend sein muss.
  • Missverständnis von Pausen. Beispiel: In einem Gespräch entsteht eine kurze Pause, die der Autist als Aufforderung versteht, weitere Details hinzuzufügen, statt darauf zu warten, dass der Gesprächspartner spricht.
  • Einseitigkeit in Gesprächen. Beispiel: Bei einem Treffen mit Freunden erzählt der Autist nur über seine Woche, ohne nach den Erlebnissen der anderen zu fragen oder darauf einzugehen.
  • Annahme, dass Zuhören Zustimmung bedeutet. Beispiel: Ein Gesprächspartner, der höflich zuhört, wird als interessiert interpretiert, obwohl dieser möglicherweise gelangweilt oder überfordert ist.

Diese Beispiele zeigen, wie Gespräche dominieren zu einem Missverständnis führen kann. Während der Autist versucht, seine Begeisterung oder sein Wissen zu teilen, wird dieses Verhalten häufig als unhöflich oder egozentrisch wahrgenommen. Das verstärkt die Wahrscheinlichkeit, dass soziale Interaktionen für beide Seiten als unangenehm empfunden werden und Autisten sich in Zukunft mehr zurückziehen.



Überforderung durch Gruppengespräche

Gruppengespräche stellen für viele Autisten eine besondere Herausforderung dar. Sie sind oft dynamisch und erfordern das gleichzeitige Verarbeiten mehrerer nonverbaler und verbaler Signale. Dies kann schnell zu Überforderung führen, da das Timing, die Themenwechsel und die Gruppendynamik schwer zu durchschauen sind.

Beispiele:

  • Unsicherheit beim Einstieg. Beispiel: Ein Autist wartet, bis alle anderen gesprochen haben, verpasst dann aber die Gelegenheit, seinen Beitrag zu leisten.
  • Überforderung durch mehrere Stimmen. Beispiel: In einer Diskussion spricht eine Person über das eigentliche Thema, während jemand anderes eine Nebenbemerkung macht – der Autist verliert den Überblick.
  • Probleme, Themenwechsel zu erkennen. Beispiel: Die Gruppe wechselt zu einem neuen Thema, aber der Autist bringt weiterhin Punkte zum vorherigen Thema ein.
  • Nicht bemerken, dass man an der Reihe ist. Beispiel: Nach einer Frage an die Gruppe bleibt der Autist still, da er nicht erkennt, dass er gemeint ist.
  • Einschüchterung durch dominante Redner. Beispiel: Der Autist möchte etwas sagen, zieht sich aber zurück, weil andere Gruppenmitglieder lauter oder energischer auftreten.
  • Missverständnisse durch nonverbale Signale. Beispiel: Ein Autist spricht weiter, obwohl jemand anderes durch Mimik oder Gestik signalisiert, dass er selbst reden möchte.
  • Gefühl von Isolation in der Gruppe.Beispiel: Der Autist hört aufmerksam zu, beteiligt sich aber nicht, weil er sich unsicher über die eigenen Beiträge fühlt.
  • Probleme mit Humor in Gruppen. Beispiel: Ein Autist reagiert nicht auf einen gemeinsamen Witz, weil er ihn nicht versteht, und wird dadurch als distanziert wahrgenommen.
  • Schnelle Ermüdung durch Gruppengespräche. Beispiel: Nach kurzer Zeit fühlt sich der Autist überfordert und zieht sich zurück, weil die Verarbeitung der Gruppeninteraktion zu anstrengend wird.

Gruppengespräche verlangen ein hohes Maß an Flexibilität und die Fähigkeit, verschiedene Signale gleichzeitig zu verarbeiten. Autisten empfinden solche Gespräche häufig als chaotisch und überwältigend, was zu Rückzug, Missverständnissen oder Unsicherheiten führt. Mit klaren Strukturen und vorhersehbaren Abläufen können Gruppensituationen jedoch erleichtert werden.



Besonderheiten bei Mädchen und Frauen

Autismus äußert sich bei Mädchen und Frauen oft anders als bei Jungen und Männern, was dazu führt, dass er seltener erkannt wird. Im Bereich der Gespräche zeigt sich das insbesondere durch eine stärkere Anpassungsfähigkeit und eine bewusste Anstrengung, soziale Erwartungen zu erfüllen.

Beispiele:

  • Erlernen von Gesprächsregeln wie eine „Fremdsprache“. Beispiel: Autistische Mädchen beobachten ihre Mitschülerinnen genau, um deren Gesprächsverhalten zu imitieren. Sie lernen, höflich zu nicken, Gegenfragen zu stellen und Lücken im Gespräch zu füllen, ohne diese Regeln intuitiv zu verstehen.
  • Perfektioniertes Masking in Gesprächen. Beispiel: Eine Autistin führt Smalltalk fließend und passt sich scheinbar mühelos an, obwohl dies für sie enorme Anstrengung bedeutet und sie anschließend völlig erschöpft ist.
  • Verstecken von Unsicherheiten durch Kompensation. Beispiel: Wenn eine Autistin Schwierigkeiten hat, ein Gespräch zu beginnen, lenkt sie die Aufmerksamkeit bewusst auf den Gesprächspartner, indem sie mit einer Frage startet: „Wie war dein Wochenende?“, um von sich abzulenken.
  • Überanpassung an soziale Erwartungen. Beispiel: Ein Mädchen, das Smalltalk hasst, lächelt und stimmt zu, obwohl sie das Gespräch inhaltlich uninteressant findet, da sie nicht negativ auffallen möchte.
  • Stärkere soziale Selbstkritik. Beispiel: Nach einem Gespräch grübelt ein autistisches Mädchen stundenlang darüber nach, ob sie etwas „falsch“ gemacht hat, etwa ob ihre Antworten passend waren oder sie den richtigen Ton getroffen hat.
  • Unbemerkter sozialer Rückzug. Beispiel: Wenn Gespräche zu anstrengend werden, zieht sich eine Autistin nicht offensichtlich zurück, sondern bleibt körperlich anwesend, beteiligt sich jedoch kaum noch aktiv am Gespräch.
  • Übermäßiges Nachdenken über Gesprächsinhalte. Beispiel: Nach einem Gespräch denkt eine Autistin tagelang über einzelne Sätze nach, analysiert mögliche Missverständnisse und versucht, ihre Aussagen in zukünftigen Gesprächen zu verbessern.
  • „Chamäleon“-Verhalten in Gruppen. Beispiel: Eine Autistin passt ihre Sprache, Gestik und Interessen an die Gruppe an, um nicht aufzufallen, und ignoriert dabei oft ihre eigenen Bedürfnisse oder Vorlieben.
  • Stärkere Fokussierung auf Beziehungen. Beispiel: Eine Autistin investiert viel Energie in Gespräche, die sie für den Erhalt von Freundschaften wichtig hält, und übergeht dabei ihre eigenen Grenzen. Das führt oft zu sozialer Erschöpfung.
  • Vermeiden von Gesprächsanfängen. Beispiel: Ein autistisches Mädchen vermeidet es, selbst ein Gespräch zu beginnen, weil sie Angst hat, den falschen Ton zu treffen oder unpassende Themen auszuwählen. Stattdessen wartet sie, bis sie angesprochen wird.
  • Sichtbare Erleichterung nach „sicheren“ Gesprächen. Beispiel: Nach einem Gespräch mit einer vertrauten Person, bei dem sie keine Angst vor Fehlern haben muss, zeigt ein autistisches Mädchen Entspannung und Freude, die in anderen sozialen Interaktionen fehlt.
  • Verstärktes Masking bei Missverständnissen. Beispiel: Wenn ein autistisches Mädchen bemerkt, dass sie etwas Falsches gesagt hat, versucht sie sofort, es zu korrigieren, indem sie sich entschuldigt oder lacht, um das Gespräch wieder „in Ordnung“ zu bringen.
  • Kompensation durch schriftliche Kommunikation. Beispiel: Eine Autistin, die Gespräche vermeidet, weil sie zu anstrengend sind, nutzt verstärkt Messenger oder E-Mails, da sie dort mehr Zeit hat, ihre Worte zu formulieren.
  • Schneller sozialer Rückzug nach Gesprächen. Beispiel: Eine Autistin wirkt nach außen sozial aktiv, aber nach jedem Gespräch zieht sie sich für längere Zeit zurück, um sich von der Anstrengung zu erholen.
  • Vermeidung von Augenkontakt durch andere Strategien. Beispiel: Ein autistisches Mädchen hält beim Zuhören den Augenkontakt nur scheinbar, indem sie auf die Nasenwurzel oder Stirn des Gegenübers schaut, um die soziale Erwartung zu erfüllen, ohne sich unwohl zu fühlen.
  • Unauffälliges Nachahmen von Gesprächspartnern. Beispiel: Eine Autistin beobachtet genau, wie ihre Freundinnen Sätze formulieren oder welche Körpersprache sie nutzen, und imitiert dies bewusst, um sich besser anzupassen.
  • Überforderung durch Gruppengespräche. Beispiel: Ein autistisches Mädchen in einer Gruppe spricht kaum, weil es den schnellen Wechsel der Themen und Sprecher nicht mitverfolgen kann. Sie wirkt dadurch schüchtern oder desinteressiert, obwohl sie innerlich stark bemüht ist, Anschluss zu finden.

Mädchen und Frauen im Autismus-Spektrum setzen oft Masking-Techniken ein, um sich in Gesprächen anzupassen. Dies führt dazu, dass ihre Schwierigkeiten übersehen werden, da sie nach außen hin gut integriert wirken. Doch diese Anpassungsleistung ist oft mit großem inneren Stress verbunden, der langfristig zu Erschöpfung oder sozialem Rückzug führen kann.



B. Sprache und Verständnis


Wörtliches Verständnis von Sprache

Autisten nehmen Sprache häufig wörtlich, da sie Schwierigkeiten haben, den übertragenen oder metaphorischen Sinn von Aussagen zu erkennen. Während neurotypische Menschen intuitiv verstehen, wenn Redewendungen, Ironie oder Sarkasmus verwendet werden, fehlt es Autisten oft an dieser intuitiven Deutungskompetenz. Stattdessen konzentrieren sie sich auf die genauen Worte und deren wörtliche Bedeutung.

Beispiele:

  • Missverstehen von Redewendungen. Beispiel: Auf die Redewendung „Das schlägt dem Fass den Boden aus“ könnte ein Autist fragen, welches Fass gemeint ist und warum dessen Boden herausgeschlagen wird.
  • Schwierigkeiten mit Metaphern. Beispiel: Ein Lehrer sagt: „Ihr müsst über den Tellerrand hinausschauen.“ Der Autist bleibt verwirrt zurück und fragt sich, was der Tellerrand mit der Aufgabe zu tun hat.
  • Ironie wird nicht erkannt. Beispiel: Jemand sagt: „Oh, das hast du ja richtig toll gemacht!“, um einen Fehler humorvoll zu kritisieren. Der Autist nimmt dies ernst und fühlt sich gelobt, was zu Missverständnissen führt.
  • Probleme mit Sarkasmus. Beispiel: Auf die Aussage „Natürlich, das war ja ganz einfach!“ nach einer komplizierten Aufgabe reagiert der Autist mit einem sachlichen „Nein, es war wirklich schwer“, da er die sarkastische Ebene nicht erkennt.
  • Wörtliches Befolgen von Anweisungen. Beispiel: Ein Elternteil sagt: „Stell deine Schuhe in die Ecke.“ Der Autist stellt die Schuhe exakt in eine Ecke, auch wenn dort kein Schuhregal steht.
  • Unklarheit bei unpräzisen Aussagen. Beispiel: Jemand sagt: „Wir treffen uns später.“ Der Autist fragt nach einer genauen Uhrzeit und einem Ort, da „später“ für ihn zu vage ist.
  • Verwirrung durch humorvolle Übertreibung. Beispiel: Auf die Aussage „Ich hab heute schon tausend Sachen erledigt!“ fragt der Autist irritiert, wie das in einem einzigen Tag möglich war.
  • Probleme mit rhetorischen Fragen. Beispiel: Ein Lehrer fragt „Wie oft soll ich das noch erklären?“, und der Autist antwortet ehrlich: „Vielleicht drei- oder viermal?“
  • Missverständnis bei Wortspielen. Beispiel: Bei einem Wortspiel wie „Ich geh mal kurz ins Netz“ (im Sinne von Internet) fragt sich der Autist verwirrt, ob ein echtes Netz gemeint ist.
  • Fokus auf den Inhalt statt auf den Tonfall. Beispiel: Jemand sagt in einem genervten Ton „Ach, lass mich doch in Ruhe!“ Der Autist nimmt dies wortwörtlich und zieht sich zurück, ohne den emotionalen Kontext zu erfassen.

Das wörtliche Verständnis von Sprache führt dazu, dass Autisten oft in Situationen geraten, die für sie verwirrend oder frustrierend sind. Missverständnisse entstehen, weil sie die subtilen Nuancen und den Kontext von Sprache nicht intuitiv erfassen. Für Außenstehende wirkt dieses Verhalten manchmal naiv oder distanziert, obwohl es in Wahrheit eine andere Art ist, die Welt zu interpretieren.



Schwierigkeiten, indirekte Aussagen zu verstehen

Autisten haben oft Probleme mit indirekten oder impliziten Aussagen, da sie Sprache häufig wörtlich und ohne Subtext interpretieren. Während neurotypische Menschen viele Aussagen mit Zwischentönen oder Andeutungen verstehen, benötigen Autisten meist explizite Formulierungen, um den tatsächlichen Sinn zu erfassen.

Typische Beispiele:

  • Missverständnisse bei höflichen Formulierungen. Beispiel: „Vielleicht könntest du das nochmal überarbeiten“ wird als Option verstanden, nicht als indirekte Aufforderung.
  • Unverständnis für subtile Kritik. Beispiel: Eine Bemerkung wie „Das ist ja interessant“ wird nicht als höfliche Ablehnung, sondern als echte Zustimmung wahrgenommen.
  • Probleme mit indirekten Aufforderungen. Beispiel: Auf „Es ist hier ganz schön kalt“ reagiert der Autist nicht, da er nicht erkennt, dass dies eine Aufforderung ist, das Fenster zu schließen.
  • Fragen ohne klare Absicht werden wörtlich beantwortet. Beispiel: Auf „Wie spät haben wir es eigentlich?“ antwortet der Autist mit der genauen Uhrzeit, ohne den sozialen Kontext zu erkennen.
  • Missverstehen von Witzen. Beispiel: Ein scherzhaft gemeinter Kommentar wird ernst genommen, was zu Verwirrung oder peinlichen Situationen führt.
  • Unklare Anweisungen werden ignoriert. Beispiel: Eine Lehrkraft sagt: „Ihr könnt ja schon mal anfangen“, und der Autist bleibt sitzen, weil die Aufgabe nicht klar definiert wurde.
  • Verwirrung durch Untertreibungen oder Übertreibungen. Beispiel: Der Satz „Das dauert doch nur eine Sekunde“ führt zu Ungeduld, da der Autist dies wörtlich nimmt.
  • Probleme mit sozialen Andeutungen. Beispiel: „Das sieht aber gemütlich aus bei dir“ wird nicht als Hinweis auf Unordnung, sondern als echtes Kompliment verstanden.

Indirekte Sprache erfordert oft ein Verständnis für Kontext, Tonfall und nonverbale Hinweise, die für Autisten schwer zugänglich sind. Dies führt zu Missverständnissen und der Wahrnehmung, Autisten seien „unsensibel“ oder „seltsam“. Klarheit und direkte Formulierungen helfen, solche Schwierigkeiten zu vermeiden.


Missverstehen von Scherzen oder Neckereien

Autisten haben oft Schwierigkeiten, Scherze oder Neckereien zu erkennen, da diese meist auf subtilen Hinweisen wie Tonfall, Mimik oder Kontext basieren. Für neurotypische Menschen sind diese Signale intuitiv verständlich, während Autisten sie nicht oder nur schwer deuten können. Statt einen Scherz als humorvoll wahrzunehmen, wird er häufig wörtlich interpretiert oder als Kritik missverstanden.

Beispiele:

  • Wörtliche Interpretation eines Scherzes. Beispiel: Jemand sagt: „Pass auf, dass du nicht vom Stuhl fällst, so wie du da sitzt!“ Der Autist schaut sich irritiert um, überprüft seinen Sitz und fragt, ob der Stuhl kaputt ist.
  • Neckerei als persönliche Kritik wahrnehmen. Beispiel: Ein Kollege sagt augenzwinkernd: „Na, wieder mal zu spät?“ Der Autist fühlt sich angegriffen, obwohl es humorvoll gemeint war, und beginnt, sich detailliert zu rechtfertigen.
  • Probleme mit Sarkasmus. Beispiel: Auf die sarkastische Bemerkung „Na klar, das war eine geniale Idee!“ nach einem Fehler reagiert der Autist ernsthaft mit: „Ich dachte, es wäre wirklich eine gute Idee.“
  • Verwirrung durch Ironie. Beispiel: Jemand sagt: „Das war ja mal ein großartiger Erfolg!“ Der Autist versteht die ironische Ebene nicht und fragt nach, warum der andere das Ergebnis als Erfolg betrachtet.
  • Unfähigkeit, neckende Freundschaftsgesten zu erkennen. Beispiel: Ein Freund tippt dem Autisten im Spaß auf die Schulter und sagt: „Jetzt bist du aber mal dran!“ Der Autist empfindet die Geste als übergriffig oder missverständlich.
  • Ernsthafte Reaktion auf übertriebenen Humor. Beispiel: Auf den Satz „Ich hab heute so viel gearbeitet, ich glaub, ich bin jetzt 90 Jahre alt!“ reagiert der Autist mit: „Das kannst du nicht wirklich glauben, oder?“
  • Verwirrung bei spielerischem Streit. Beispiel: Zwei Freunde necken sich humorvoll, und der Autist mischt sich ein, um den „Streit“ zu schlichten, weil er die spielerische Ebene nicht erkennt.
  • Häufiges Nachfragen. Beispiel: Nach einem Scherz fragt der Autist: „Meinst du das ernst?“ oder „Was soll das bedeuten?“, was den Humor für andere oft „zerstört“.
  • Stärke des Humors falsch einschätzen. Beispiel: Ein Autist erzählt einen Witz, der sehr trocken oder schwarz ist, und bemerkt nicht, dass dieser die Stimmung in der Gruppe unangenehm beeinflusst.
  • Trockener und analytischer Humor. Beispiel: Ein Autist bemerkt in einer Unterhaltung: „Der Wetterbericht sagt 30% Regenwahrscheinlichkeit. Heißt das, es regnet nur zu 30%?“ Die humorvolle, analytische Bemerkung wird vom Gegenüber als ernst gemeint interpretiert.
  • Schwarzer Humor. Beispiel: Ein Autist macht einen humorvollen Kommentar über ein schwieriges Thema, etwa: „Wenn das noch komplizierter wird, schreibe ich eine Doktorarbeit darüber.“ Die anderen reagieren irritiert, weil sie den Sarkasmus als unangemessen empfinden.
  • „Insider“-Humor ohne Publikum. Beispiel: Ein Autist lacht über eine eigene, komplexe Beobachtung – etwa, dass ein bestimmtes Muster auf der Tapete wie ein Tier aussieht – und teilt dies mit anderen, die jedoch nicht nachvollziehen können, warum das lustig ist.
  • Humor als Bewältigungsstrategie. Beispiel: In einer unangenehmen sozialen Situation kommentiert ein Autist: „Das läuft ja wie geschmiert – nur leider mit Sand.“ Die Bemerkung wird als pessimistisch oder unangemessen aufgefasst, obwohl sie der Situation für den Autisten Leichtigkeit geben sollte.
  • Selbstironischer Humor. Beispiel: Ein Autist sagt: „Ich habe keine soziale Angst. Ich habe nur Angst vor sozialen Situationen mit anderen Menschen.“ Während autistische Zuhörer den Witz erkennen, wird er von neurotypischen Personen oft nicht als Humor erkannt.
  • Überforderte Reaktion auf „Misslungene“ Witze. Beispiel: Ein Autist erzählt einen sorgfältig geplanten Witz, der nicht ankommt, und entschuldigt sich, da er glaubt, etwas falsch gemacht zu haben.
  • Unverständnis gegenüber „sozialem Humor“. Beispiel: Ein Autist versteht Gruppenneckereien oder ironischen „Gemeinschaftshumor“ nicht und zieht sich zurück, weil er glaubt, der Humor sei auf seine Kosten.
  • Humor nur in vertrauten Kreisen. Beispiel: Ein Autist macht nur in sehr vertrauten Situationen humorvolle Bemerkungen, da er Angst hat, in anderen Kontexten missverstanden oder abgelehnt zu werden.

Autistische Menschen haben oft einen ausgeprägten, kreativen und oft außergewöhnlichen Humor, der sich von neurotypischem Humor unterscheidet. Dieser Humor kann sowohl ein Ventil als auch eine Möglichkeit zur Verbindung sein – doch die Angst vor Missverständnissen führt dazu, dass viele Autisten ihren Humor zurückhalten. Die fehlende Resonanz oder das Unverständnis anderer kann dabei das Gefühl verstärken, „anders“ zu sein.

Umgekehrt können die Schwierigkeiten, Scherze oder Neckereien von Neurotypischen zu verstehen, bei Autisten zu Missverständnissen oder belastenden sozialen Situationen führen. Während sie selbst oft nicht beabsichtigen, humorlos zu wirken, empfinden sie den sozialen Humor als schwer verständlich. Dies führt häufig zu Unsicherheiten oder einem Rückzug aus Situationen, in denen Humor eine zentrale Rolle spielt.



Selbst kaum Witze oder Scherze machen

Viele Autisten machen selten Witze oder Scherze, da sie Humor anders wahrnehmen und nutzen als neurotypische Menschen. Oft resultiert dies aus Unsicherheiten: Sie wissen nicht, wie ihr Humor ankommt, ob er passend ist oder wie andere darauf reagieren. Manche empfinden Humor auch als „unpraktisch“, weil er nicht dem direkten Informationsaustausch dient, den sie in Gesprächen bevorzugen.

Beispiele:

  • Angst, missverstanden zu werden. Beispiel: Ein Autist hat eine humorvolle Bemerkung im Kopf, sagt sie aber nicht laut, weil er befürchtet, dass sie unpassend oder nicht als Witz erkannt wird.
  • Fokus auf Ernsthaftigkeit. Beispiel: In einer lockeren Gesprächsrunde bleibt ein Autist sachlich, weil er nicht versteht, warum ein ernstes Thema humorvoll behandelt wird, und befürchtet, durch einen Witz den Ernst der Situation zu untergraben.
  • Witze als „unlogisch“ empfinden. Beispiel: Ein Autist hört einen Witz und analysiert, warum die Pointe keinen realen Sinn ergibt, statt ihn als humorvoll zu empfinden. Dadurch wird es für ihn selbst schwieriger, ähnliche Witze zu formulieren.
  • Unsicherheit, was „lustig“ ist. Beispiel: Ein Autist überlegt lange, ob ein Witz über ein alltägliches Missgeschick geeignet ist, und entscheidet sich am Ende, ihn lieber nicht zu erzählen, um nicht tollpatschig zu wirken.
  • Geringe Relevanz von Humor für die Kommunikation. Beispiel: Ein Autist sieht keinen Nutzen darin, Witze zu machen, da sie keinen konkreten Informationsgehalt haben, und konzentriert sich lieber auf ernsthafte Gesprächsthemen.
  • Schwierigkeit, die Stimmung richtig einzuschätzen. Beispiel: Ein Autist erkennt nicht, ob die aktuelle Situation Raum für Humor bietet, und hält sich daher zurück, um keine Missverständnisse zu provozieren.
  • Rückzug nach negativen Erfahrungen. Beispiel: Ein Autist, dessen Witz in der Vergangenheit falsch verstanden wurde, vermeidet es bewusst, weitere Scherze zu machen, da er die Ablehnung als belastend empfand.
  • Selbstwahrnehmung als „unlustig“. Beispiel: Ein Autist glaubt, keinen Sinn für Humor zu haben, da er selten lacht oder von anderen selten positive Reaktionen auf seinen Humor erhält.
  • Humor nur in schriftlicher Form. Beispiel: Ein Autist fühlt sich sicherer, Witze in Chats oder E-Mails zu machen, da er dort Zeit hat, seine Formulierungen genau zu überlegen. 
  • Unklarheit über soziale Funktion von Humor. Beispiel: Ein Autist versteht nicht, dass Witze in Gruppen oft dazu dienen, Nähe oder Zugehörigkeit zu signalisieren, und verzichtet daher bewusst darauf.

Autisten verzichten oft bewusst auf Humor, um Unsicherheiten und Missverständnissen aus dem Weg zu gehen. Dies wird von anderen manchmal als „Humorlosigkeit“ wahrgenommen, obwohl es in Wahrheit auf tiefere soziale Unsicherheiten oder auf ein anderes Verständnis von Kommunikation zurückzuführen ist. In vertrauten Umgebungen kann ihr Humor jedoch durchaus lebendig und kreativ sein.



Überwältigung durch zu viele Informationen

Autisten verarbeiten Sprache häufig detailgenau und gründlich, was dazu führen kann, dass sie bei einer Flut an Informationen schnell überfordert sind. Im Gegensatz zu neurotypischen Menschen, die irrelevante Informationen leichter ausblenden können, fällt es Autisten schwer, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Dies kann sowohl in Gesprächen als auch bei schriftlicher Kommunikation auftreten.

Typische Beispiele:

  • Probleme mit langen Erklärungen. Beispiel: Ein Autist hört einem Vortrag zu, verliert aber den Überblick, weil zu viele Details auf einmal präsentiert werden.
  • Überforderung bei Gruppengesprächen. Beispiel: Wenn mehrere Personen gleichzeitig sprechen, fühlt sich der Autist überwältigt und kann nicht mehr folgen.
  • Verwirrung durch schnelle Themenwechsel. Beispiel: In einer Diskussion wechselt der Gesprächspartner mehrfach das Thema, wodurch der Autist den Faden verliert.
  • Schwierigkeiten bei komplexen Anweisungen. Beispiel: Eine Lehrkraft gibt eine mehrstufige Aufgabe vor, aber der Autist vergisst die ersten Schritte, während er die späteren versteht.
  • Reizüberflutung durch Hintergrundinformationen. Beispiel: Ein Kollege erzählt eine Geschichte, fügt aber viele irrelevante Details hinzu, was den Autisten überfordert.
  • Probleme mit schnellem Sprechen. Beispiel: In einem Gespräch spricht das Gegenüber so schnell, dass der Autist Schwierigkeiten hat, alle Informationen zu verarbeiten.
  • Überforderung durch schriftliche Texte. Beispiel: Ein langer, unstrukturierter Text wirkt überwältigend, da der Autist nicht weiß, wo er beginnen soll, die wichtigen Informationen zu finden.
  • Missverständnisse bei überladenen E-Mails. Beispiel: Eine E-Mail enthält viele Informationen und verschiedene Aufgaben, aber der Autist kann die Prioritäten nicht erkennen.
  • Erschöpfung nach längeren Gesprächen. Beispiel: Nach einem Gespräch mit vielen Informationen zieht sich der Autist zurück, weil die Verarbeitung zu anstrengend war.
  • Unfähigkeit, wichtige Details auszuwählen. Beispiel: Ein Autist hört eine Geschichte und gibt beim Nacherzählen so viele Details wieder, dass die Kernaussage verloren geht.

Die Schwierigkeit, Informationen zu filtern und zu priorisieren (hier übrigens eine Überschneidung zu ADHS), kann dazu führen, dass Autisten sich in Gesprächen oder bei Aufgaben schnell überfordert fühlen. Klare, strukturierte Kommunikation und die Reduktion auf das Wesentliche erleichtern den Umgang erheblich.



Probleme mit abstrakten Konzepten

Autisten haben oft Schwierigkeiten, abstrakte Konzepte zu verstehen, da ihr Denken häufig konkret und detailorientiert ist. Während neurotypische Menschen leicht zwischen konkreten und abstrakten Ideen wechseln, erfordern abstrakte Begriffe, Metaphern oder Hypothesen für Autisten eine bewusste und anstrengende Übersetzungsarbeit.

Typische Beispiele:

  • Missverständnisse bei philosophischen Konzepten. Beispiel: Begriffe wie „Freiheit“ oder „Gerechtigkeit“ werden nicht intuitiv erfasst, sondern müssen anhand konkreter Beispiele erklärt werden.
  • Probleme mit Hypothesen. Beispiel: Auf die Frage „Was wäre, wenn…?“ reagiert ein Autist mit Verwirrung, weil der hypothetische Kontext schwer vorstellbar ist.
  • Schwierigkeiten mit Mehrdeutigkeit. Beispiel: Ein Satz wie „Das Leben ist eine Reise“ wird wörtlich verstanden und hinterlässt Ratlosigkeit. Allerdings haben erwachsene Autisten üblicherweise die Bedeutung der gängigsten Metaphern für sich auswendig gelernt, so dass es ihnen dann keine Verständnisschwierigkeit mehr macht.
  • Missverständnisse bei symbolischen Konzepten. Beispiel: Ein Autist versteht nicht, warum eine weiße Taube für Frieden steht, ohne eine ausführliche Erklärung. Auch hier hat ein erwachsener Autist die häufigsten Symbole im Laufe seines Erwachsenenlebens memoriert.
  • Probleme mit abstrakten Fragestellungen. Beispiel: Bei einer Frage wie „Wie definierst du Glück?“ bleibt der Autist stumm, da das Konzept schwer fassbar ist.
  • Konzentration auf konkrete Details. Beispiel: Statt eine abstrakte Theorie zu verstehen, konzentriert sich der Autist auf einen kleinen, greifbaren Teilaspekt.
  • Überforderung bei Konzepten ohne Bezug zur Realität. Beispiel: In einer Geschichte über Paralleluniversen fällt es dem Autisten schwer, sich die Struktur und die Logik vorzustellen. Das Thema fasziniert ihn zwar üblicherweise, aber er kann nur schwer damit umgehen, Teilaspekte einfach offen und ungeklärt zu lassen.
  • Verwirrung durch subjektive Aussagen. Beispiel: Ein Satz wie „Jeder hat seine eigene Wahrheit“ erscheint einem Autisten unlogisch, da er  für sich Wahrheit als objektiv definiert.
  • Schwierigkeiten mit offenen Fragestellungen. Beispiel: Ein Autist kann eine Aufgabe wie „Schreibe etwas über das Thema Liebe“ nicht bewältigen, weil sie zu unkonkret ist.

Abstrakte Konzepte erfordern oft die Fähigkeit, über konkrete Fakten hinauszugehen und Symbolik oder hypothetische Szenarien zu erfassen. Für Autisten kann dies schwierig sein, da ihr Denken stärker auf das Konkrete und Nachvollziehbare ausgerichtet ist. Klare, konkrete Beispiele und strukturierte Erklärungen helfen, solche Herausforderungen zu überwinden.



Fokus auf Fakten statt Emotionen

Viele Autisten neigen dazu, in Gesprächen stärker auf sachliche Informationen und Fakten einzugehen als auf emotionale Aspekte. Dies liegt häufig daran, dass Fakten für sie klarer und greifbarer sind als Emotionen, die oft unberechenbar und subjektiv wirken. Während neurotypische Menschen in emotionalen Situationen nach Empathie oder Trost suchen, möchten Autisten häufig durch logische Lösungen oder konkrete Vorschläge helfen.

Beispiele:

  • Sachliche Reaktion auf traurige Nachrichten. Beispiel: Jemand erzählt, dass er seinen Job verloren hat, und der Autist reagiert mit: „Vielleicht könntest du dich bei Unternehmen X und Y bewerben – die suchen Leute“, anstatt Trost oder Mitgefühl auszudrücken.
  • Faktenorientierter Umgang mit Konflikten. Beispiel: Während einer emotionalen Diskussion in der Familie konzentriert sich der Autist darauf, wer „Recht“ hat, statt die Gefühle der Beteiligten zu berücksichtigen.
  • Unangemessene Reaktionen in Trauersituationen. Beispiel: Bei einer Beerdigung kommentiert der Autist, wie gut organisiert die Veranstaltung ist, was von anderen als unpassend empfunden wird.
  • Rationale Unterstützung in schwierigen Momenten. Beispiel: Ein Freund erzählt von einer Trennung, und der Autist erklärt nüchtern: „Statistisch gesehen dauert es ein Jahr, um eine Beziehung emotional zu verarbeiten. Du bist also im Durchschnitt.“
  • Vermeidung von emotionalem Smalltalk. Beispiel: Auf die Frage „Wie fühlst du dich?“ antwortet der Autist kurz mit „Gut“ oder „Keine Ahnung“, ohne den emotionalen Kontext der Frage zu berücksichtigen.
  • Probleme mit emotionalen Untertönen. Beispiel: Jemand sagt: „Ich fühle mich übergangen.“ Der Autist fragt konkret nach: „Wie genau bist du übergangen worden?“ statt auf die emotionale Ebene einzugehen.
  • Frustration über indirekte Sprache. Beispiel: Ein Kollege sagt: „Ich bin echt gestresst.“ Der Autist fragt: „Warum?“ oder schlägt sofort Lösungen vor, statt auf den verborgenen Wunsch nach Trost einzugehen.
  • Missverständnisse bei nonverbalen Gefühlen. Beispiel: Jemand sieht traurig aus, doch der Autist erkennt dies nicht oder kommentiert es mit: „Du siehst müde aus“ statt „Geht es dir gut?“.
  • Bevorzugung von klaren Anweisungen. Beispiel: In emotional aufgeladenen Situationen fragt der Autist nach konkreten Schritten, etwa: „Was soll ich jetzt tun?“ statt intuitiv eine emotionale Reaktion zu zeigen.
  • Rückzug aus emotionalen Gesprächen. Beispiel: Wenn eine Unterhaltung emotional wird, wechselt der Autist das Thema oder zieht sich zurück, da ihm die emotionalen Dynamiken schwer fallen.
  • Unverständnis für emotionale Unterstützung ohne Lösung. Beispiel: Ein Freund erzählt von einer schwierigen Situation, und der Autist fragt: „Warum erzählst du mir das, wenn du keine Lösung willst?“ anstatt einfach zuzuhören und Trost zu spenden.
  • Neutralität in hitzigen Diskussionen. Beispiel: In einer emotionalen Debatte innerhalb der Familie bleibt der Autist sachlich und sagt: „Das sind persönliche Meinungen, keine Fakten“, was die Situation oft noch weiter aufheizt.
  • Unpassende Beobachtungen in Krisensituationen. Beispiel: Während einer emotionalen Auseinandersetzung kommentiert der Autist: „Es ist interessant, wie dein Tonfall sich verändert, wenn du wütend wirst.“
  • „Besserwisserische“ Reaktion auf Gefühle. Beispiel: Jemand sagt: „Ich fühle mich schrecklich.“ Der Autist antwortet mit: „Statistisch gesehen wirst du dich morgen besser fühlen“, ohne auf die aktuelle Emotion einzugehen.
  • Vermeidung von Emotionen durch Fakten. Beispiel: Bei einem Konflikt sagt der Autist: „Das ist nicht der richtige Moment, darüber zu reden. Lass uns später einen Plan machen“, um die emotionale Konfrontation zu umgehen.
  • Pragmatische Reaktion auf Lob oder Kritik. Beispiel: Auf ein Lob wie „Du hast das toll gemacht!“ antwortet der Autist: „Ich habe nur getan, was nötig war“, und erkennt den emotionalen Wert der Aussage nicht.
  • Fehlende emotionale Resonanz. Beispiel: Ein Partner sagt: „Ich fühle mich heute wirklich nicht gut.“ Der Autist fragt: „Ist das ein medizinisches Problem?“, ohne auf die emotionale Ebene einzugehen.
  • Technische Unterstützung statt emotionaler Beistand. Beispiel: Ein Kollege berichtet über ein großes Problem, und der Autist bietet an, eine Tabelle zur Problemlösung zu erstellen, statt Mitgefühl zu zeigen.
  • Emotionale Gespräche auf die sachliche Ebene zurückführen. Beispiel: Wenn jemand sagt: „Ich bin so enttäuscht über das Ergebnis!“, antwortet der Autist: „Das Ergebnis war doch statistisch gesehen zu erwarten.“
  • Unverständnis für „unnötige“ emotionale Diskussionen. Beispiel: In einer emotionalen Teambesprechung fragt der Autist direkt: „Warum reden wir so lange darüber, wenn die Fakten eindeutig sind?“

Der Fokus auf Fakten anstelle von Emotionen ist für viele Autisten eine bewusste oder unbewusste Strategie, um mit der Komplexität emotionaler Situationen umzugehen. Für ihr Umfeld kann dies manchmal als distanziert oder unsensibel wirken, obwohl es oft aus einem Bedürfnis nach Klarheit und konkretem Handeln entsteht. Mit zunehmendem Verständnis können solche Unterschiede jedoch überbrückt werden.



Besonderheiten bei Mädchen und Frauen

Mädchen und Frauen im Autismus-Spektrum erleben die Schwierigkeit, Fakten und Emotionen zu balancieren, oft anders als Männer. Gesellschaftliche Erwartungen an Frauen, emotional einfühlsam und kommunikativ zu sein, setzen sie stark unter Druck. Viele autistische Frauen entwickeln Masking-Strategien, um diesen Erwartungen gerecht zu werden, und verbergen dadurch ihre natürlichen Reaktionen, was für sie extrem anstrengend ist und schlimmstenfalls ins sogenannte „autistische Burnout“ führt.

Beispiele:

  • Masking durch Überanpassung. Beispiel: Eine autistische Frau merkt, dass von ihr erwartet wird, Trost zu spenden. Sie sagt automatisch Sätze wie „Das tut mir leid“, obwohl sie diese Floskel eher als leere Worte empfindet.
  • Sachliche Kommunikation, die missverstanden wird. Beispiel: Eine Kollegin erzählt von persönlichen Problemen, und die Autistin antwortet mit pragmatischen Ratschlägen wie: „Vielleicht solltest du eine To-do-Liste machen.“ Die Kollegin empfindet dies als unempathisch, obwohl die Frau helfen möchte.
  • Angst vor „falschen“ Reaktionen. Beispiel: Nach einem emotionalen Gespräch grübelt eine autistische Frau stundenlang darüber nach, ob sie etwas gesagt oder getan hat, das unpassend wirken könnte.
  • Unsicherheiten im Ausdruck von Emotionen. Beispiel: Eine Freundin teilt eine traurige Nachricht, und die Autistin lächelt unbeabsichtigt nervös, weil sie nicht weiß, wie sie reagieren soll. Dies wird oft als Gleichgültigkeit fehlinterpretiert.
  • Verstärkter Rückzug nach sozialen Interaktionen. Beispiel: Nach einem emotionalen Gespräch zieht sich eine Autistin für längere Zeit zurück, um ihre Gedanken und Gefühle zu verarbeiten.
  • Fokus auf Effizienz in emotionalen Gesprächen. Beispiel: Während einer Diskussion in der Familie bleibt die Autistin sachlich und schlägt Lösungen vor, um das Thema schnell zu klären, was andere als kalt empfinden.
  • Rollenbilder als Belastung. Beispiel: Eine autistische Frau kämpft mit dem gesellschaftlichen Druck, „emotionaler“ zu sein, und fühlt sich oft unzulänglich, weil sie nicht intuitiv weiß, wie sie in bestimmten Situationen reagieren sollte.
  • Verstärktes Masking in emotionalen Kontexten. Beispiel: Bei einem Treffen mit Freundinnen spielt eine Autistin aktiv mit und zeigt scheinbar Einfühlungsvermögen, obwohl sie innerlich unsicher ist und das Gespräch nur schwer folgen kann.

Autistische Mädchen und Frauen sind oft gezwungen, sich stärker an gesellschaftliche Erwartungen anzupassen, insbesondere in emotionalen Gesprächen. Dieses Masking ist anstrengend und führt langfristig zu Stress und Überforderung. Gleichzeitig bleiben ihre Herausforderungen oft unbemerkt, da ihre Anpassungsstrategien nach außen hin „funktionieren“.

Es ist jedoch sehr wichtig zu betonen, dass viele Mädchen und Frauen im Autismus-Spektrum auch das andere Extrem erleben: 

Sie sind hyperempathisch. Ihre Empathie kann so intensiv sein, dass sie von den Gefühlen anderer förmlich überwältigt werden. 

Dies führt dazu, dass sie sich aus Selbstschutz emotional distanzieren oder Rückzugstendenzen entwickeln.

Dieses Spannungsfeld – zwischen scheinbarer Distanz und extremer Empathie – wird weiter hinten im Buch näher erläutert, um die gesamte Bandbreite autistischer Erfahrungen aufzuzeigen.



C. Schwierigkeiten mit der Theorie of Mind


Kurze Einführung in die Theory of Mind (ToM)

Die Theory of Mind (ToM) bezeichnet die Fähigkeit, die Gedanken, Gefühle, Absichten und Perspektiven anderer Menschen zu erkennen und nachzuvollziehen. Sie ermöglicht es, sich in andere hineinzuversetzen, deren Verhalten vorherzusagen und darauf angemessen zu reagieren. 

Bei Autisten ist die Theory of Mind oft eingeschränkt oder entwickelt sich langsamer. Autisten fällt es dann schwer, sich vorzustellen, dass andere Menschen andere Gedanken und Gefühle haben könnten als sie selbst. Sie gehen oft davon aus, dass die eigene Perspektive für andere ebenso offensichtlich ist wie für sie selbst, was zu Missverständnissen führt. In der Praxis zeigt sich dies in Situationen, in denen sie nicht erkennen, warum jemand beleidigt, verärgert oder enttäuscht ist, oder in Situationen, in denen sie nicht bemerken, dass jemand Hilfe braucht.

Typische Symptome und Beispiele (zunächst allgemein gehalten, anschließend noch einmal speziell für einige Unteraspekte aufgeführt):

  • Schwierigkeiten, die Perspektive anderer zu verstehen. Beispiel: Ein Autist erzählt begeistert von einem Thema, ohne zu merken, dass der Gesprächspartner gelangweilt oder überfordert wirkt.
  • Missverständnisse bei indirekten Aussagen. Beispiel: Jemand sagt: „Es ist hier ziemlich kalt.“ Der Autist versteht dies als reine Feststellung und erkennt nicht, dass der Gesprächspartner möchte, dass das Fenster geschlossen wird.
  • Probleme, Emotionen anderer zu erkennen. Beispiel: Ein Freund wirkt niedergeschlagen, doch der Autist nimmt dies nicht wahr und fragt direkt nach einem sachlichen Thema.
  • Unfähigkeit, absichtliches Verhalten zu erkennen. Beispiel: Jemand schneidet dem Autisten im Straßenverkehr den Weg ab. Der Autist glaubt, der andere habe sich „nur verschätzt“, obwohl dies absichtlich geschah.
  • Eigene Gedanken als „allgemein gültig“ ansehen. Beispiel: Ein Autist nimmt an, dass sein Kollege denselben Lösungsweg für ein Problem bevorzugt, ohne nachzufragen, was dieser denkt.
  • Missverständnisse bei sozialen Spielen. Beispiel: Während eines Brettspiels kann ein autistisches Kind nicht nachvollziehen, warum ein Mitspieler blufft oder absichtlich falsche Hinweise gibt.
  • Probleme bei Konflikten. Beispiel: Ein Kollege äußert Kritik, doch der Autist erkennt nicht, dass die Kritik konstruktiv gemeint ist, und fühlt sich persönlich angegriffen.
  • Schwierigkeiten, Bedürfnisse anderer zu erkennen. Beispiel: Ein Autist merkt nicht, dass ein Freund hungrig oder müde ist, obwohl dieser sich entsprechend verhält.
  • Missverständnisse bei nonverbalen sozialen Hinweisen. Beispiel: Eine Person zeigt auf ihre leere Tasse, doch der Autist erkennt nicht, dass dies eine Aufforderung ist, nachzuschenken.
  • Unverständnis für unausgesprochene soziale Regeln. Beispiel: Ein Autist beginnt während einer Rede laut zu essen, ohne zu erkennen, dass dies als unhöflich empfunden wird, weil die Regel nicht explizit ausgesprochen wurde.
  • Missverständnisse in Gruppensituationen. Beispiel: Während einer Diskussion in der Gruppe überhört ein Autist, dass jemand die Redefolge wechseln möchte, und fährt mit seiner Erklärung fort, da er nicht bemerkt, dass der Fokus sich verschoben hat.
  • Probleme mit Lügen oder Täuschung. Beispiel: Ein Autist glaubt sofort, was jemand sagt, da er nicht erkennt, dass die Aussage absichtlich falsch ist, etwa bei einem Scherz oder einem Bluff.
  • Schwierigkeiten, humorvolle Übertreibungen zu erkennen. Beispiel: Ein Freund sagt: „Ich habe heute 1000 Dinge zu erledigen!“ Der Autist fragt irritiert: „Wie willst du das schaffen?“, weil er die Übertreibung wörtlich nimmt.
  • Unklarheit über soziale Rollen. Beispiel: Ein Autist spricht mit dem Chef genauso vertraulich wie mit einem Kollegen, weil er den Unterschied in der Hierarchie nicht wahrnimmt.
  • Missverständnisse bei emotionalem Kontext. Beispiel: Während eines ernsten Gesprächs macht der Autist einen sachlichen Kommentar, ohne zu merken, dass die Situation eigentlich Trost oder Empathie erfordert.
  • Probleme mit verdeckten Absichten. Beispiel: Ein Autist bemerkt nicht, dass ein Kollege versucht, sich vor einer Aufgabe zu drücken, und übernimmt unbewusst zusätzliche Arbeit.
  • Unfähigkeit, Intentionen zu antizipieren. Beispiel: Jemand deutet auf einen Gegenstand, den er greifen möchte, doch der Autist merkt nicht, dass er helfen könnte, ihn zu erreichen.
  • Herausforderungen bei Rückmeldungen. Beispiel: Ein Lehrer fragt indirekt: „Meinst du, das war eine gute Lösung?“ Der Autist versteht die Frage wörtlich und antwortet „Ja“, ohne zu merken, dass der Lehrer Kritik andeuten wollte.
  • Verwirrung bei emotionalen Reaktionen. Beispiel: Ein Freund wirkt plötzlich wütend, doch der Autist versteht nicht, was er getan hat, um diese Reaktion auszulösen, da er die Verbindung zur eigenen Handlung nicht erkennt.
  • Unkenntnis über Erwartungen in Geschenksituationen. Beispiel: Ein Autist schenkt jemandem ein sehr sachliches Geschenk (z. B. einen Gutschein für einen Baumarkt), weil es praktisch ist, ohne zu erkennen, dass der andere eine emotionalere Geste erwartet.
  • Übersehen von sozialen Signalen bei Konflikten. Beispiel: Ein Partner deutet durch Schweigen an, dass er verärgert ist. Der Autist merkt dies nicht und spricht weiter, als wäre alles in Ordnung.
  • Missverstehen von Gruppendynamiken. Beispiel: In einer Gruppe stimmt jemand widerwillig zu, doch der Autist bemerkt nicht, dass die Zustimmung nicht echt ist, und fährt mit dem ursprünglichen Plan fort.
  • Probleme mit impliziten Aufforderungen. Beispiel: Jemand sagt: „Der Müll riecht heute echt schlimm.“ Der Autist nimmt die Aussage als reine Feststellung wahr, statt sie als Aufforderung zu verstehen, den Müll wegzubringen.

Schwierigkeiten, die Gefühle anderer zu erkennen

Autisten haben oft Probleme, die Gedanken, Gefühle oder Absichten anderer Menschen zu verstehen. Dies liegt daran, dass sie nonverbale Signale wie Mimik, Gestik oder Tonfall weniger intuitiv deuten können. Stattdessen müssen sie sich solche Interpretationen bewusst und mühsam aneignen, was sowohl zeitaufwändig als auch anstrengend ist.

Typische Beispiele:

  • Verwechslung von Gefühlsausdrücken. Beispiel: Ein Autist interpretiert ein Stirnrunzeln als Ärger, obwohl es sich um Nachdenklichkeit handelt.
  • Übersehen subtiler Emotionen. Beispiel: Ein Kollege wirkt enttäuscht, aber der Autist bemerkt es nicht, da die Enttäuschung nicht deutlich ausgedrückt wird.
  • Missverstehen von Tonfall. Beispiel: Eine ironisch gemeinte Bemerkung wird ernst genommen, da der Autist den Tonfall nicht als Hinweis erkennt.
  • Unsicherheit bei komplexen Emotionen. Beispiel: Der Autist kann gemischte Gefühle wie gleichzeitige Freude und Traurigkeit nicht nachvollziehen.
  • Probleme, Intentionen zu erkennen. Beispiel: Der Autist versteht nicht, dass ein Kompliment strategisch eingesetzt wurde, um eine Gefälligkeit zu erbitten.
  • Unfähigkeit, unausgesprochene Erwartungen zu erfassen. Beispiel: Bei einem Geburtstagsgeschenk erkennt der Autist nicht, dass eine begeisterte Reaktion erwartet wird.
  • Schwierigkeiten mit sozialer Rücksichtnahme. Beispiel: Der Autist geht nicht auf die Sorgen eines Freundes ein, da er nicht bemerkt, dass der Freund Trost sucht.
  • Überraschung bei emotionalen Reaktionen. Beispiel: Der Autist erzählt eine schwierige Wahrheit und ist verwundert, dass das Gegenüber emotional reagiert.
  • Fehleinschätzung von Gruppendynamiken. Beispiel: In einer Diskussion merkt der Autist nicht, dass eine Gruppe bereits eine Meinung teilt, und präsentiert eine gegensätzliche Sichtweise.
  • Probleme mit impliziten sozialen Rollen. Beispiel: Der Autist erkennt nicht, dass bei einem Familienessen bestimmte Personen bevorzugt behandelt werden sollen, und fragt unpassend nach.

Das Erkennen von Gedanken und Gefühlen anderer erfordert ein Gespür für subtile Hinweise, das bei Autisten oft weniger ausgeprägt ist. Dies kann zu Missverständnissen führen, die wiederum soziale Interaktionen erschweren. Auch hier gilt wieder: Mit klarer Kommunikation und bewussten Strategien können diese Schwierigkeiten zumindest reduziert werden.


Probleme mit Perspektivwechsel

Der Perspektivwechsel – also die Fähigkeit, sich in die Gedanken und Sichtweisen anderer hineinzuversetzen – fällt vielen Autisten schwer. Dies liegt daran, dass ihre Wahrnehmung stark auf ihre eigenen Erfahrungen und Fakten fokussiert ist. Ohne bewusste Anleitung oder klare Hinweise bleibt die Sichtweise des Gegenübers oft unverständlich.

Typische Beispiele:

  • Unverständnis für andere Meinungen. Beispiel: Ein Autist hält eine bestimmte Vorgehensweise für die einzig logische und kann nicht nachvollziehen, warum jemand eine andere bevorzugt.
  • Probleme, Emotionen nachzuvollziehen. Beispiel: Der Autist versteht nicht, warum jemand traurig ist, obwohl der Grund aus seiner Sicht unbedeutend erscheint.
  • Missverständnisse bei Prioritäten. Beispiel: Der Autist wird ungeduldig, weil ein Kollege eine weniger dringende Aufgabe erledigt, anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
  • Unfähigkeit, Wissen des Gegenübers einzuschätzen. Beispiel: Ein Autist erklärt ein Thema zu detailliert, ohne zu merken, dass das Gegenüber bereits Bescheid weiß.
  • Probleme mit zwischenmenschlichen Kompromissen. Beispiel: Der Autist bleibt bei seiner eigenen Lösung und kann sich nicht auf einen Mittelweg einlassen, da die andere Perspektive für ihn nicht greifbar ist.
  • Konflikte durch fehlendes Verständnis für soziale Rollen. Beispiel: Der Autist spricht mit einem Chef oder Lehrer genauso wie mit einem Freund, ohne die unterschiedlichen Hierarchien zu berücksichtigen.
  • Schwierigkeiten mit emotionalem Kontext. Beispiel: Ein Autist erzählt bei einer Beerdigung eine fröhliche Geschichte, da er nicht erkennt, dass dies der Situation unangemessen ist.
  • Fehleinschätzungen bei Gruppendynamiken. Beispiel: Der Autist denkt, dass alle in der Gruppe seine Meinung teilen, da er die stillen Signale des Dissens nicht wahrnimmt.
  • Probleme mit Perspektivwechsel in Diskussionen. Beispiel: Der Autist wiederholt seine Argumente, weil er glaubt, dass das Gegenüber sie nicht verstanden hat, anstatt zu erkennen, dass es eine andere Meinung vertritt.
  • Unverständnis für indirekte Kommunikation. Beispiel: Der Autist merkt nicht, dass eine Aussage wie „Das ist ja interessant“ eigentlich bedeutet, dass das Thema beendet werden soll.

Der Perspektivwechsel verlangt, dass man die Welt aus der Sicht einer anderen Person betrachtet. Für Autisten ist dies oft herausfordernd, da sie stark auf ihre eigenen Erfahrungen und Überzeugungen fokussiert sind. Dies kann zu Missverständnissen und Konflikten führen, die durch klare Kommunikation und Empathietraining gemildert werden können.


Missverständnisse bei emotionalen Kontexten

Der emotionale Kontext einer Situation – also die Gefühle, die darin mitschwingen oder erwartet werden – ist für viele Autisten schwer einzuschätzen. Das führt dazu, dass sie unpassend reagieren oder den emotionalen Subtext einer Situation nicht wahrnehmen.

Typische Beispiele:

  • Unangemessene Reaktion auf traurige Nachrichten. Beispiel: Ein Autist reagiert auf die Nachricht eines Kollegen über einen Verlust mit Fakten statt Mitgefühl, da er die emotionale Tiefe nicht erkennt.
  • Übersehen von Spannungen in der Gruppe. Beispiel: Der Autist bemerkt nicht, dass zwei Personen im Raum einen Konflikt haben, und verhält sich, als sei die Stimmung entspannt.
  • Fehlende Anpassung an feierliche Momente. Beispiel: Bei einer Hochzeit macht der Autist einen sachlichen Kommentar über das Wetter, während die anderen über das Paar sprechen.
  • Probleme mit sozialen Erwartungen. Beispiel: Der Autist erzählt eine lustige Anekdote auf einer Beerdigung, weil er die Ernsthaftigkeit des Moments nicht wahrnimmt.
  • Missverständnisse bei höflichen Absagen. Beispiel: Der Autist nimmt eine Aussage wie „Vielleicht ein andermal“ wörtlich und plant ein weiteres Treffen, obwohl dies nicht gewünscht ist.
  • Unfähigkeit, Sarkasmus oder Ironie zu erkennen. Beispiel: Eine ironische Bemerkung wie „Ja, das war ja ein voller Erfolg“ wird als ernst gemeint interpretiert.
  • Unangemessenes Verhalten in Gruppensituationen. Beispiel: Der Autist unterbricht eine angespannte Diskussion mit einem unverfänglichen Kommentar, da er die Dringlichkeit des Themas nicht versteht.
  • Überforderung durch gemischte Emotionen. Beispiel: In einer Situation, in der jemand gleichzeitig lacht und weint, versteht der Autist die emotionale Ambivalenz nicht.
  • Verwirrung durch nonverbale Signale. Beispiel: Der Autist bemerkt nicht, dass jemand durch verschränkte Arme und Mimik zeigt, dass er verärgert ist.
  • Unpassender Umgang mit Lob oder Kritik. Beispiel: Ein Autist reagiert auf ein Kompliment mit einem sachlichen „Danke“, ohne die Bedeutung des Lobs zu würdigen, oder er nimmt Kritik übermäßig persönlich.

Der emotionale Kontext einer Situation ist oft subtil und erfordert das Zusammenspiel von nonverbalen und verbalen Signalen. Für Autisten ist es oft schwierig, diese Dynamik zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.



Unfähigkeit, Absichten anderer zu antizipieren

Die Fähigkeit, die Absichten oder Pläne anderer Menschen vorherzusehen, basiert auf der Einschätzung ihrer Gedanken, Gefühle und Ziele. Autisten fällt es oft schwer, solche Vorhersagen zu treffen, da sie auf subtile soziale Hinweise und vergangene Erfahrungen angewiesen sind, die sie weniger intuitiv verarbeiten können.

Typische Beispiele:

  • Missverständnisse bei sozialen Gefälligkeiten. Beispiel: Ein Autist erkennt nicht, dass eine Einladung zum Kaffee darauf abzielt, eine berufliche Zusammenarbeit anzuregen.
  • Probleme mit zwischenmenschlichen Konflikten. Beispiel: Der Autist ist überrascht, dass eine gereizte Bemerkung des Kollegen zu einem Streit führt, da er die Eskalation nicht voraussieht.
  • Fehleinschätzungen bei Gefälligkeiten. Beispiel: Der Autist erkennt nicht, dass jemand ein Geschenk macht, um später einen Gefallen einzufordern.
  • Überraschung bei plötzlichen Entscheidungen. Beispiel: Ein Freund bricht ein Treffen ab, weil er sich beleidigt fühlt, was der Autist nicht erwartet hat.
  • Unklarheit über die Bedeutung von Komplimenten. Beispiel: Der Autist nimmt ein Kompliment als rein sachlich wahr und erkennt nicht, dass es der Anfang einer Verhandlung ist.
  • Probleme mit Gruppendynamiken. Beispiel: Der Autist versteht nicht, dass eine Gruppe auf eine Entscheidung zusteuert, obwohl dies aus der Diskussion hervorgeht.
  • Verwirrung über unausgesprochene Regeln. Beispiel: Der Autist ignoriert eine Geste wie das Zücken des Portemonnaies eines Freundes, der damit signalisiert, dass er den nächsten Kaffee bezahlt.
  • Unverständnis für implizite Erwartungen. Beispiel: Der Autist ist überrascht, dass seine Partnerin enttäuscht ist, weil er keinen Blumenstrauß zum Jahrestag mitbringt.
  • Probleme mit sozialer Manipulation.Beispiel: Der Autist merkt nicht, dass jemand ihn manipuliert, indem er schmeichelt oder gezielt Schuldgefühle hervorruft.
  • Fehleinschätzungen bei Verhandlungen. Beispiel: Der Autist erkennt nicht, dass der Verkäufer bei einem Rabattangebot erwartet, dass er im Gegenzug schneller entscheidet.

Das Antizipieren von Absichten erfordert ein Verständnis für soziale Dynamiken und ungesagte Regeln. Für Autisten ist dies oft herausfordernd, da sie dazu neigen, das Verhalten anderer wörtlich und ohne Subtext zu interpretieren.



Schwierigkeiten, unausgesprochene Regeln zu erkennen

Unausgesprochene Regeln sind soziale Konventionen, die meist stillschweigend erwartet werden. Autisten haben oft Schwierigkeiten, solche Regeln zu erkennen und einzuhalten, da sie nicht explizit kommuniziert werden. Dies kann zu Missverständnissen und unbeabsichtigtem Fehlverhalten führen.

Typische Beispiele:

  • Unangemessenes Verhalten in formellen Situationen. Beispiel: Der Autist zieht bei einem Geschäftsessen seine Schuhe aus, weil es für ihn bequemer ist, ohne zu wissen, dass dies als unhöflich gilt.
  • Probleme mit Begrüßungsritualen. Beispiel: Der Autist bietet bei einem Treffen die falsche Begrüßungsform an, etwa einen Handschlag, obwohl ein Umarmen üblich wäre. 
  • Missverständnisse bei Geschenken. Beispiel: Der Autist bedankt sich nicht für ein Geschenk, weil er nicht weiß, dass dies erwartet wird, oder er lehnt es ab, weil er es nicht benötigt.
  • Übersehen von Tischmanieren. Beispiel: Der Autist beginnt zu essen, bevor alle anderen am Tisch bedient wurden, da ihm diese Regel nicht bewusst ist.
  • Fehlverhalten bei Einladungen. Beispiel: Der Autist sagt einer Einladung kurzfristig ab, ohne zu wissen, dass dies als unhöflich empfunden wird.
  • Probleme mit Dresscodes. Beispiel: Der Autist erscheint zu einer Hochzeit in Freizeitkleidung, weil er nicht versteht, dass ein formeller Dresscode erwartet wird.
  • Probleme mit informellen Regeln im Freundeskreis. Beispiel: Der Autist bringt zum Spieleabend nichts zu trinken mit, weil niemand explizit gesagt hat, dass dies erwartet wird.
  • Unklarheit über Höflichkeitsfloskeln. Beispiel: Der Autist beendet ein Telefonat ohne sich zu verabschieden, da er nicht erkennt, dass dies notwendig ist.
  • Unangemessene Fragen stellen. Beispiel: Der Autist fragt in einem Bewerbungsgespräch direkt nach dem Gehalt, ohne zu wissen, dass dies normalerweise erst später angesprochen wird.
  • Fehlverhalten bei Festen. Beispiel: Der Autist isst auf einer Geburtstagsparty bereits vom Kuchen, bevor das Geburtstagskind die Kerzen ausgeblasen hat.
  • Unklarheit über höfliche Ablehnung. Beispiel: Der Autist nimmt ein Angebot („Möchtest du noch etwas?“) wörtlich und sagt „Nein, danke“, ohne zu merken, dass dies eine Höflichkeitsgeste war, auf die eine Annahme erwartet wurde.
  • Missverständnisse bei Komplimenten. Beispiel: Der Autist reagiert auf ein Kompliment wie „Du hast eine schöne Frisur“ mit einem sachlichen „Ja, ich habe sie gestern schneiden lassen“, anstatt sich zu bedanken.
  • Probleme mit sozialen „Schulden“. Beispiel: Der Autist vergisst, eine Gefälligkeit zu erwidern, weil er nicht versteht, dass dies als unausgesprochene Regel gilt.
  • Ignorieren von Höflichkeitsformen. Beispiel: Der Autist nimmt sich bei einem Buffet zuerst das größte Stück, ohne zu wissen, dass erwartet wird, sich zurückzuhalten, bis alle etwas haben.
  • Probleme mit Dankeskultur. Beispiel: Der Autist schreibt nach einer Feier keine Dankesnachricht an den Gastgeber, da er nicht weiß, dass dies erwartet wird.
  • Missverständnisse bei Verabschiedungen. Beispiel: Der Autist bleibt nach einem Treffen unangenehm lange stehen, weil er nicht bemerkt, dass das Gegenüber das Gespräch beenden möchte.
  • Probleme mit indirekter Kritik. Beispiel: Ein Autist versteht nicht, dass der Satz „Vielleicht könntest du es das nächste Mal anders machen“ eigentlich eine Kritik ist.

Unausgesprochene Regeln prägen soziale Interaktionen und dienen oft dazu, Harmonie und Höflichkeit zu wahren. Das Verständnis für unausgesprochene Regeln setzt ein intuitives Gespür für soziale Normen voraus, das Autisten oft fehlt. Diese Schwierigkeiten führen dazu, dass sie von anderen als „taktlos“ oder „ungewöhnlich“ wahrgenommen werden, obwohl keine böse Absicht dahintersteckt.



Besonderheiten bei Mädchen und Frauen

Mädchen und Frauen im Autismus-Spektrum zeigen bei der Theory of Mind oft subtile Unterschiede im Vergleich zu Jungen und Männern. Sie haben in der Regel eine stärkere soziale Anpassungsfähigkeit und entwickeln komplexe Masking-Strategien, um ihre Schwierigkeiten zu kaschieren. Gleichzeitig erleben viele von ihnen eine hyperempatische Wahrnehmung, bei der sie von den Gefühlen anderer überwältigt werden, ohne diese klar einordnen zu können.

Beispiele:

  • Hyperanpassung an soziale Erwartungen. Beispiel: Ein autistisches Mädchen lernt bewusst, typische Reaktionen zu zeigen, etwa „Das tut mir leid“ zu sagen, obwohl sie die Emotionen des Gegenübers nicht intuitiv nachempfindet.
  • Überwältigung durch Hyperempathie. Beispiel: Eine Freundin erzählt von einem Verlust, und die Autistin fühlt sich emotional so stark belastet, dass sie sich zurückziehen muss, ohne ihre Unterstützung ausdrücken zu können.
  • Schwierigkeiten mit sozialen Konflikten. Beispiel: In einem Streit versucht eine autistische Frau, beide Seiten gleichermaßen zu verstehen, und wird von anderen als unentschlossen oder „neutral“ wahrgenommen, obwohl sie nur vermeiden möchte, jemanden zu verletzen.
  • „Perfekte Fassade“ bei sozialer Interaktion.  Beispiel: Eine Autistin imitiert erfolgreich typische soziale Verhaltensweisen, doch nach einer Veranstaltung fühlt sie sich völlig erschöpft und zieht sich für Tage zurück.
  • Übersehen von manipulativen Absichten. Beispiel: Eine Freundin nutzt die Gutmütigkeit einer Autistin aus, doch diese erkennt die Manipulation nicht und fühlt sich später betrogen.
  • Probleme mit unausgesprochenen Regeln in Frauengruppen. Beispiel: In einer Gruppe von Freundinnen werden subtile Blicke oder ironische Bemerkungen gemacht, doch die autistische Frau versteht diese Signale nicht und fühlt sich ausgeschlossen.
  • Hyperbewusstheit für eigene Fehler. Beispiel: Nach einem Gespräch analysiert eine autistisches Mädchen stundenlang, ob sie etwas gesagt hat, das unpassend war, obwohl das Gegenüber dies gar nicht bemerkt hat.
  • Unterschätzen der eigenen sozialen Fähigkeiten. Beispiel: Eine autistische Frau glaubt, sie sei „sozial unfähig“, weil sie sich ständig selbst hinterfragt, obwohl sie von außen betrachtet erfolgreich soziale Kontakte pflegt. 
  • Besondere Schwierigkeiten in intimen Beziehungen. Beispiel: In einer Partnerschaft erkennt eine Autistin oft nicht, was ihr Partner unausgesprochen von ihr erwartet, was zu Konflikten führt.
  • Erschöpfung durch „social multitasking“. Beispiel: Während eines Treffens versucht eine autistische Frau gleichzeitig, die Mimik, den Tonfall und die Aussagen aller zu analysieren, was sie schnell überfordert.
  • Überwältigung durch Gruppendynamik. Beispiel: In einer Besprechung spürt eine Autistin die unterschiedlichen Emotionen der Teilnehmer, kann sie jedoch nicht klar zuordnen, was sie stark verunsichert.
  • Schwierigkeiten, eigene Bedürfnisse zu erkennen. Beispiel: Ein autistisches Mädchen bemerkt nicht, dass sie selbst erschöpft ist, weil sie so stark darauf fokussiert ist, die Bedürfnisse anderer zu erfüllen.
  • Unfähigkeit, indirekte Komplimente zu erkennen. Beispiel: Eine Kollegin sagt: „Das war eine interessante Präsentation!“ Die Autistin interpretiert dies als Kritik und fragt sich, was sie falsch gemacht hat.
  • Probleme mit sozialen Erwartungen in der Familie. Beispiel: Eine Autistin erkennt nicht, dass von ihr erwartet wird, sich um ein jüngeres Familienmitglied zu kümmern, und wird dafür als „unzuverlässig“ angesehen.
  • Hyperfokus auf Details in sozialen Interaktionen. Beispiel: Während eines Gesprächs bemerkt eine Autistin kleine Veränderungen in der Mimik des Gegenübers, kann diese aber nicht in den emotionalen Kontext einordnen.
  • Schwierigkeiten mit sozialen Hierarchien. Beispiel: Eine Autistin spricht mit ihrem Chef genauso vertraut wie mit einem Kollegen, ohne zu erkennen, dass dies als unangemessen wahrgenommen werden könnte.
  • Missverständnisse bei spontanen Gefühlsausbrüchen. Beispiel: Ein Freund reagiert plötzlich wütend, doch die autistische Frau kann nicht nachvollziehen, was sie möglicherweise gesagt oder getan hat, um diese Reaktion auszulösen.
  • Unsicherheit im Umgang mit nonverbaler Kommunikation. Beispiel: Eine Freundin wirkt traurig, aber das autistische Mädchen erkennt nicht, ob sie trösten sollte, und schweigt aus Angst, etwas Falsches zu sagen.
  • Probleme, Humor als soziale Brücke zu nutzen. Beispiel: Eine autistische Frau erzählt einen Witz, doch sie bemerkt nicht, dass die Gruppe in einer ernsten Stimmung ist und der Witz unpassend wirkt.
  • Selbstkritik nach sozialem Rückzug. Beispiel: Nach einem Treffen fühlt sich eine Autistin schuldig, weil sie vorzeitig gegangen ist, obwohl sie dies aus Überforderung tun musste.
  • Vermeidung von Gruppengesprächen. Beispiel: Eine autistische Frau vermeidet es, sich an Diskussionen zu beteiligen, weil sie sich nicht sicher ist, wann sie an der Reihe ist zu sprechen.
  • Überforderung durch komplexe soziale Netzwerke. Beispiel: In einer größeren Freundesgruppe fällt es der autistischen Frau schwer, die Beziehungen und Dynamiken zwischen den Mitgliedern zu verstehen.
  • Unfähigkeit, Ironie in Frauengesprächen zu erkennen. Beispiel: Eine Freundin sagt: „Ach, klar, ich hab soooo viel Zeit dafür!“ Die Autistin nimmt dies wörtlich und reagiert irritiert.
  • Perfektionismus in sozialen Interaktionen. Beispiel: Eine autistische Frau gibt sich bei jedem Gespräch besonders viel Mühe, alles „richtig“ zu machen, was sie auf Dauer emotional erschöpft.
  • Unklarheit über „offene Einladungen“. Beispiel: Eine Kollegin sagt: „Du kannst gerne mal auf einen Kaffee vorbeikommen!“ Die Autistin fragt sich, ob dies ernst gemeint war, und bleibt unsicher, ob sie die Einladung annehmen soll.
  • Höheres Interesse an sozialen Kontakten. Beispiel: Eine Frau mit Autismus bemüht sich intensiv um Freundschaften, wird aber oft enttäuscht, weil sie nicht versteht, warum die Beziehungen nicht halten.
  • Intensive Anpassung an Geschlechterrollen. Beispiel: Ein autistisches Mädchen passt sich den Vorlieben und Hobbys ihrer Freundinnen an, obwohl sie eigentlich andere Interessen hat.
  • Höheres Risiko für Erschöpfung durch soziale Erwartungen. Eine Autistin nimmt an einem Familientreffen teil und wirkt dort gesellig und fröhlich, bricht jedoch zu Hause in Tränen aus, weil die Anstrengung zu groß war.
  • Bessere verbale Fähigkeiten maskieren soziale Schwierigkeiten. Beispiel: Ein autistisches Mädchen spricht fließend und hat einen großen Wortschatz, wodurch ihre Probleme mit sozialer Gegenseitigkeit nicht auffallen.
  • Vermeidung von Konflikten. Beispiel: Eine Autistin gibt in Diskussionen immer nach, um Auseinandersetzungen zu vermeiden, auch wenn sie sich danach unwohl fühlt.
  • Neigung zu hyperempathischem Verhalten schon in der Kindheit. Beispiel: Ein Mädchen fühlt sich für die Gefühle aller in ihrer Klasse verantwortlich und versucht ständig, Konflikte zu lösen.
  • Unklare oder wechselhafte Identität. Beispiel: Eine Autistin hat Schwierigkeiten, ihre eigene Identität zu definieren, da sie sich ständig an die Erwartungen anderer anpasst.
  • Unauffällige, aber intensive Spezialinteressen. Beispiel: Ein autistisches Mädchen hat ein tiefes Interesse an Tieren, spricht aber nur mit wenigen Menschen darüber, sodass es kaum auffällt.
  • Höhere soziale Belastung durch Perfektionismus. Beispiel: Eine autistische Frau gibt sich in sozialen Situationen extrem viel Mühe, perfekt zu wirken, was auf Dauer zu Burnout führt.

Mädchen und Frauen im Autismus-Spektrum zeigen oft subtilere Symptome, die durch Anpassungsstrategien oder bessere verbale Fähigkeiten verdeckt werden. Diese Unterschiede machen deutlich, wie wichtig es ist, geschlechtsspezifische Aspekte bei der Diagnostik und Unterstützung von Autismus zu berücksichtigen. Mädchen und Frauen im Autismus-Spektrum erleben zudem die Herausforderungen der Theory of Mind oft auf besondere Weise: Sie investieren viel Energie in Anpassung und soziale Analyse, was zu Erschöpfung und Unsicherheit führt. Gleichzeitig kann ihre Hyperempathie dazu führen, dass sie von den Gefühlen anderer überwältigt werden. Diese Spannungsfelder machen deutlich, wie wichtig es ist, die spezifischen Bedürfnisse und Erfahrungen von autistischen Frauen besser zu verstehen.




2. Schwierigkeiten mit nonverbaler Kommunikation



A. Schwierigkeit, nonverbale Signale zu deuten

Nonverbale Signale wie Mimik, Gestik, Körperhaltung oder Tonfall geben oft entscheidende Hinweise auf die Gefühle oder Absichten eines Gesprächspartners. Für Autisten sind diese subtilen Hinweise jedoch schwer zu erkennen oder zu interpretieren, da sie diese nicht intuitiv verarbeiten. Dadurch entstehen oft Missverständnisse, die von anderen als Unaufmerksamkeit oder mangelndes Interesse gewertet werden. 


Probleme mit Mimik

Autisten haben häufig Schwierigkeiten, die Mimik anderer Menschen zu interpretieren. Mimik transportiert viele subtile Hinweise über Emotionen, Intentionen und soziale Erwartungen, die für neurotypische Menschen intuitiv verständlich sind. Autisten hingegen müssen diese Signale bewusst analysieren und haben oft Mühe, sie korrekt einzuordnen.

Typische Beispiele:

  • Verwechslung von Emotionen. Beispiel: Ein Autist deutet ein Lächeln als Freude, obwohl es ein höfliches oder gezwungenes Lächeln ist.
  • Übersehen von subtilen Gesichtsausdrücken. Beispiel: Der Autist bemerkt nicht, dass sein Gesprächspartner skeptisch die Augenbrauen hebt.
  • Schwierigkeiten mit schnellen Mimikwechseln. Beispiel: Ein Autist erkennt nicht, dass ein Gesprächspartner in Sekundenschnelle von Freude zu Ärger wechselt.
  • Unklarheit über gemischte Emotionen. Beispiel: Der Autist versteht nicht, dass jemand gleichzeitig lächelt und traurig wirkt.
  • Fehlinterpretation von Übertreibungen. Beispiel: Ein bewusst übertriebenes Grimassenschneiden wird nicht als humorvoll erkannt, sondern wörtlich genommen.
  • Unverständnis für soziale Mimik. Beispiel: Der Autist erkennt nicht, dass ein Lächeln nur als Höflichkeitsgeste dient, ohne echte Freude auszudrücken.
  • Überforderung durch multiple Mimiken in Gruppen. Beispiel: Bei einem Gespräch in der Gruppe verliert der Autist den Überblick über die wechselnden Gesichtsausdrücke der Anwesenden.
  • Fehlende intuitive Erkennung. Beispiel: Der Autist muss sich bewusst überlegen, was ein bestimmter Gesichtsausdruck bedeutet, anstatt ihn intuitiv zu verstehen.
  • Missverständnisse bei neutralen Gesichtsausdrücken. Beispiel: Eine neutrale Mimik wird als Desinteresse oder sogar Ärger interpretiert, obwohl keine negative Absicht dahintersteht.
  • Probleme mit Kontexten. Beispiel: Ein Lächeln bei einer ernsten Besprechung wird als unpassend wahrgenommen, weil der Autist nicht versteht, dass es zur Entspannung beitragen soll.
  • Missverständnisse bei Augen-Mimik. Beispiel: Der Autist erkennt nicht, dass weit geöffnete Augen Überraschung oder Schock signalisieren, und reagiert nicht darauf.

Mimik ist ein komplexes Kommunikationsmittel, das viele subtile Hinweise enthält. Für Autisten ist es schwierig, diese Hinweise schnell und korrekt zu interpretieren.



Probleme mit Gestik

Gestik ist ein zentraler Bestandteil nonverbaler Kommunikation und vermittelt häufig Bedeutungen oder Intentionen, die Worte allein nicht ausdrücken können. Für Autisten ist es oft schwierig, die Bedeutung von Gesten intuitiv zu erfassen oder sie angemessen einzusetzen.