Panikattacken durch Reizüberflutung?



Viele Menschen erleben manchmal, dass ihnen „alles zu viel wird“. Doch bei manchen ist dieses Gefühl besonders heftig – so stark, dass es zu einer Panikattacke kommen kann. In meiner Praxis beobachte ich dieses Phänomen besonders häufig bei neurodivergenten Erwachsenen, also bei Menschen mit Autismus, ADHS oder einer ausgeprägten Hochsensibilität.

In diesem Artikel möchte ich erklären, was hinter diesen Reaktionen steckt – und warum sie nichts mit Schwäche oder Überempfindlichkeit zu tun haben.


Was bedeutet Reizüberflutung?


Reizüberflutung entsteht, wenn das Gehirn mehr Eindrücke verarbeiten muss, als es in dem Moment kann. Das können z. B. sein:


  • grelles Licht, laute Geräusche, viele Menschen,
  • mehrere Aufgaben gleichzeitig,
  • soziale Situationen mit vielen unausgesprochenen Erwartungen.


Für Menschen mit Autismus oder ADHS – oder solchen, die sich selbst als besonders sensibel erleben, also Hochsensible – können solche Reize schneller zur Überforderung führen. Das Gehirn ist dabei nicht „falsch“, sondern verarbeitet Informationen einfach auf andere Weise – oft intensiver, manchmal ungefilterter.


Warum kann Reizüberflutung zu Panik führen?


Wenn zu viele Eindrücke gleichzeitig auf uns einwirken, aktiviert sich unser Stresssystem. Das kann zu innerer Unruhe, Herzrasen, Schwindel oder Atemnot führen. Bei manchen Menschen entwickelt sich daraus eine Panikattacke – scheinbar „aus dem Nichts“.


Studien zeigen, dass Menschen mit Autismus oft eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Körpersignalen haben, also z. B. Herzklopfen oder Muskelspannung stärker wahrnehmen (Lidstone et al., 2025). Wenn diese Signale dann falsch gedeutet werden (z. B. als gefährlich), kann eine Angstreaktion entstehen, die sich schnell verstärkt.


Hochsensibilität – kein Modetrend, sondern Realität


Viele Menschen bezeichnen sich als „hochsensibel“. Auch wenn dieser Begriff nicht medizinisch definiert ist, beschreibt er eine Lebenserfahrung, die sehr real ist: ein feines Empfinden für Stimmungen, Reize, Störungen – innen wie außen. In Kombination mit neurodivergenten Eigenschaften kann diese Sensibilität besonders herausfordernd sein.


Forschung zeigt, dass diese sensorische Empfindlichkeit auch mit einem höheren Risiko für Ängste und Erschöpfung verbunden sein kann – vor allem, wenn man ständig versucht, sich „anzupassen“ oder nichts anmerken zu lassen (Genovese & Ellerbeck, 2022).


Was viele Betroffene tun: Maskieren – und erschöpfen


Viele neurodivergente Erwachsene entwickeln im Laufe ihres Lebens Strategien, um sich in sozialen Situationen anzupassen. Sie lächeln, obwohl sie innerlich überfordert sind. Sie wirken organisiert, obwohl sie unter ständiger Anspannung stehen. Dieses sogenannte „Maskieren“ oder Camouflaging hilft kurzfristig – kostet aber auf Dauer sehr viel Kraft. Studien belegen, dass es mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Depressionen, Erschöpfung und auch Panikreaktionen verbunden ist (Putten et al., 2024).


Was kann helfen?


  • Pausen einbauen, auch im Alltag. Weniger Reize bedeuten weniger Stress.
  • Sensorische Reize ernst nehmen (z. B. Sonnenbrille, Noise-Cancelling-Kopfhörer oder einfach Ohrenstöpsel).
  • In schwereren Fällen mit Angst- oder Panikattacken: Psychotherapie, um besser mit Reizüberflutung, Angst und Panik umgehen zu lernen.
  • Selbstmitgefühl entwickeln: Nicht gegen sich selbst ankämpfen, sondern verstehen neue akzeptieren, wie man funktioniert.


(Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine individuelle Beratung oder Therapie. Wenn Sie Fragen haben oder sich angesprochen fühlen, melden Sie sich gerne.)


🔍 Quellen:

D. E. Lidstone et al. "HaptiKart: An engaging videogame reveals elevated proprioceptive vs. visual bias in individuals with autism spectrum disorder." (2025). https://doi.org/10.1101/2025.01.10.25320221.

A. Genovese et al. "Autism Spectrum Disorder: a Review of Behavioral and Psychiatric Challenges Across the Lifespan." SN Comprehensive Clinical Medicine, 4 (2022): 1-10. https://doi.org/10.1007/s42399-022-01302-1.

T. Radhoe et al. "Is camouflaging unique for autism? A comparison of camouflaging between adults with autism and ADHD." Autism Research, 17 (2024): 812 - 823. https://doi.org/10.1002/aur.3099.