Hirn im Hamsterrad

Wenn zu viel Arbeit das Gehirn verändert – was eine neue Studie über Überlastung zeigt


Wir wissen längst: Dauerstress, Überarbeitung und Burnout haben Folgen. Doch was passiert eigentlich im Gehirn, wenn wir über längere Zeit zu viel arbeiten? Genau das haben Forscherinnen und Forscher in einer neuen Pilotstudie untersucht. Und sie sind auf messbare Veränderungen in der Gehirnstruktur gestoßen, die beunruhigend, aber auch spannend sind.



Worum geht es in der Studie?


Ein Team von Neurowissenschaftlern und Arbeitsmedizinern wollte herausfinden, ob chronische Überarbeitung Spuren im Gehirn hinterlässt, und wenn ja, wo und wie stark. Dafür verglichen sie das Gehirn von Personen mit extrem langen Arbeitszeiten mit dem von Menschen mit regulärer Belastung. Dabei kamen hochauflösende MRTs zum Einsatz, mit denen sich auch feine strukturelle Unterschiede sichtbar machen lassen. (Studie: Matsuda, T., Takahashi, T., Yamaguchi, K., Nishida, M., & Kawashima, R. (2025). Overwork and changes in brain structure: a pilot study. Occupational and Environmental Medicine. Advance online publication. https://doi.org/10.1136/oemed-2025-110057 )



Wer wurde untersucht?


  • 40 Personen nahmen teil: 20 aus der „Overwork-Gruppe“, die mehr als 55 Stunden pro Woche arbeiteten – oft über Monate hinweg.
  • Die Vergleichsgruppe arbeitete zwischen 35 und 40 Stunden pro Woche.
  • Alle Teilnehmenden waren gesund, berufstätig, gut ausgebildet – also nicht krankgeschrieben oder ausgebrannt, sondern mitten im Berufsleben.
  • Es wurde außerdem sichergestellt, dass keine neurologischen oder psychiatrischen Vorerkrankungen vorlagen.



Was wurde gefunden?


Die Ergebnisse waren deutlich und besorgniserregend:


1. Verändertes Volumen im präfrontalen Kortex


In der Overwork-Gruppe zeigte sich eine signifikante Volumenzunahme im dorsolateralen präfrontalen Kortex – also genau in dem Bereich, der für Entscheidungen, Planung, Emotionsregulation und Impulskontrolle zuständig ist.

Expert:innen deuten diese Zunahme nicht als Zeichen von Wachstum im positiven Sinne, sondern als Hinweis auf Dauerüberaktivierung und chronische Anspannung – ein neurobiologisches Warnsignal, das auch bei ADHS, Depressionen oder chronischem Stress relevant sein kann


2. Veränderungen in der Insula


Die Insula, ein Areal, das mit Selbstwahrnehmung, Körpergefühl und emotionaler Verarbeitung verbunden ist, war in der Overwork-Gruppe dünner. Dies könnte erklären, warum viele Überarbeitete irgendwann das Gefühl verlieren, wo ihre Belastungsgrenze liegt: Sie spüren sich weniger.


3. Veränderte Konnektivität im limbischen System


Zudem gab es Hinweise auf eine veränderte neuronale Verschaltung in Regionen, die mit emotionaler Regulation, Gedächtnis und Stressverarbeitung zu tun haben, insbesondere im Hippocampus und der Amygdala.



Was bedeutet das?


Die Ergebnisse stützen die These, dass chronische Überlastung nicht nur psychische Symptome verursacht, sondern körperliche Veränderungen im Gehirn nach sich zieht, ganz ähnlich wie bei Traumata, Depression oder chronischem Schmerz. Das Gehirn passt sich an eine Überlastung an, aber auf eine Weise, die langfristig krank macht.


Die gute Nachricht: Die Forscher gehen davon aus, dass viele dieser Veränderungen reversibel sind, also durch Ruhe, Therapie, Selbstfürsorge oder reduzierte Arbeitsbelastung teilweise wieder rückgängig gemacht werden können. Doch dafür muss der Körper (und das Gehirn) erst einmal wieder lernen, herunterzufahren.



Mehr Gehirnvolumen = mehr Leistung? Ist das nicht ein toller Trainingseffekt? Leider nein.


Was die Studie zeigt, klingt auf den ersten Blick überraschend:

Das Gehirn von überarbeiteten Menschen ist in bestimmten Regionen größer.

Mehr Volumen – das klingt doch erstmal nach einem positiven Effekt, wie nach einem Muskeltraining fürs Gehirn.


Doch die Forschenden selbst sehen das kritisch. Sie vermuten, dass es sich dabei nicht um Wachstum im Sinne von Lernzuwachs handelt, sondern um eine Art Stress-Anpassung des Gehirns – ähnlich wie bei einem Muskel, der ständig angespannt bleibt.


In der Sprache der Neurowissenschaft spricht man von einer neuroadaptiven Reaktion: Das Gehirn versucht, den Dauerstress zu kompensieren. Es „legt zu“, weil es im Überlebensmodus agiert – aber genau das ist auf Dauer riskant.


Oder anders gesagt:

Ein überlastetes Gehirn wächst nicht stärker – es kämpft härter. Und das hat seinen Preis. Denn eine überaktive Insula oder ein übererregter Frontalkortex kann mit der Zeit zu emotionaler Erschöpfung, Reizüberflutung oder kognitiven Ausfällen führen.


Die Studie liefert damit keine Entwarnung – sondern ein Frühwarnsystem.

Ein Appell, unser Verständnis von „Leistung“ neu zu definieren – und endlich auch die unsichtbaren Kosten von Dauerbelastung ernst zu nehmen.



Was können wir daraus lernen?


Diese Pilotstudie ist ein Weckruf:

Überlastung ist keine Willensfrage. Sie verändert das Gehirn, mit Auswirkungen auf Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Entscheiden. Diejenigen, die „funktionieren“, obwohl sie erschöpft sind, zahlen womöglich mit ihren neuronalen Ressourcen. Und das geschieht leise, ohne dass wir es direkt merken.


Für Ärzte, Psychotherapeuten und Arbeitgebende ist das eine wichtige Erkenntnis: Die Früherkennung von Überlastung braucht mehr als Fragebögen. Vielleicht braucht sie in Zukunft auch einmal einen Blick ins Gehirn, oder zumindest mehr Aufmerksamkeit für subtile Anzeichen wie Erschöpfung, Reizbarkeit, emotionale Taubheit oder Entscheidungsschwäche.